"Kabale und Liebe" in den Kammerspielen Bad Godesberg Zwei gegen die Mafia

Luise Miller hat eine Vision. Von einer Zeit, "wenn die Schranken des Unterschieds einstürzen - wenn von uns abspringen all die verhassten Hülsen des Standes - Menschen nur Menschen sind".

 "Mein Anspruch war Kirchenraub, und schauernd geb ich ihn auf": Maike Jüttendonk als Luise.

"Mein Anspruch war Kirchenraub, und schauernd geb ich ihn auf": Maike Jüttendonk als Luise.

Foto: Thilo Beu

Diese Zeit wird Friedrich Schillers junge Frau nicht erleben. In dem 1784 erstmals aufgeführten bürgerlichen Trauerspiel "Kabale und Liebe" liebt die Tochter des Stadtmusikanten Miller einen Adligen, Ferdinand. Ferdinands Vater ist der einem deutschen Fürsten dienende Präsident von Walter. Er verweigert sich der Mesalliance und weiß sie zu verhindern.

Was bis zum bitteren, tödlichen Ende folgt, sind Lügen, Intrigen und Erpressung. Luise wird zum Spielball, wie die Schauspielerin Maike Jüttendonk festgestellt hat. Auf der Bühne der Kammerspiele schreit die junge Schauspielerin einmal die ganze Verzweiflung und Aggression ihrer Figur heraus. Ein erschütternder Moment - und du verstehst jedes Wort. Der Regisseur Martin Nimz hat eine klare Vorstellung von Stück und Inszenierung.

Er akzentuiert in den Kammerspielen die jugendliche, idealistische Rebellion Luises und Ferdinands gegen den sturen Vater und starre Verhältnisse. Das funktioniert auch nach dem Ende der Standesgesellschaft immer noch auf der Bühne. "Die Abrechnung mit den ungerecht Herrschenden, mit den schlimmen gesellschaftlichen Verhältnissen kann nie zu den Akten gelegt werden", hat der Bonner Germanist Norbert Oellers in seinem 2005 erschienenen Buch "Schiller" notiert.

Sebastian Hannak (Bühne und Kostüme) hat eine riesige geome-trische Konstruktion ins Zentrum der Spielfläche gestellt. Sie ist drehbar. Man kann das Gebilde als symbolhaften Mühlstein um den Hals Luises betrachten oder als Schicksalsrad, das sie immer wieder bewegt, ohne einem Happy End auch nur einen Millimeter näherzukommen. Je nach Position erscheint eine Öffnung als Türrahmen oder Fenster: mögliche Fluchträume. Am Ende jedoch steht eine Mauer auf der Bühne. Es gibt kein Entkommen mehr für Luise und Ferdinand.

Es geht um das Wesentliche

Der Regisseur erzählt eine aufs Wesentliche konzentrierte Geschichte des Stückes. Nimz hat einige Textpassagen gestrichen - und den Hofmarschall von Kalb gleich ganz. Was bleibt, sind Figuren, denen die Schauspieler mit feiner Darstellungskunst und fabelhafter Sprechkultur Leben einhauchen.

Akustisch unterstützt werden sie dabei von den Foo Fighters, sägende Gitarren spiegeln Seelenlandschaften ebenso wider wie ein ohrenquälendes elektronisches Brummen. Die spannenden, gut zweieinhalb Stunden in den Kammerspielen vergehen wie im Flug. Kurz vor dem dramatischen Ende gönnt die Regie dem Publikum auch noch einen Moment der Entspannung, wenn Musikus Miller (Sören Wunderlich) und Robert Höller als Ferdinand am Klavier vierhändig Schubert versuchen: eine putzige komödiantische Miniatur.

Robert Höller erscheint zu Beginn als sportlicher Major, wie am Reck turnend und Klimmzügen nicht abgeneigt. Doch dieser Ferdinand hat Substanz. Auch er ist ein Opfer von Machtmissbrauch und Intrige, dem vorgegaukelt wird, Luise habe ihn betrogen. Ferdinand steigert sich zum Schluss in einen furiosen Zorn und eine abgrundtiefe Enttäuschung: ein Mann zwischen Raserei und Todessehnsucht.

Luise erlebt das Publikum als Idealistin, als Gläubige, aber auch als Frau mit Realitätssinn und analytischen Fähigkeiten. Maike Jüttendonk ist fast immer präsent auf der Bühne, als Akteurin und stumme Zeugin. Sie nimmt alles auf, weil alles Handeln der anderen Figuren sie auch betrifft. Wie ein Seismograf registriert sie Risse in der Beziehung zu Ferdinand, die Folgen von Eifersucht und Misstrauen, ihre eigene Leere. Erkenntnis ist schmerzhaft. Luises Einblicke in den Lauf der Dinge machen sie zu einer widerständigen, modernen und zutiefst unglücklichen Figur zugleich.

Die Gegner haben Format. Ursula Grossenbacher als Präsident von Walter profiliert sich als kalter, lauernder Strippenzieher; wie der blonde Kopf einer Mafia-Familie. Hajo Tuschy spielt den Wurm als meisterhaften Manipulator. Tuschy, der oft wie ein realer Wurm am Boden liegt, hat einen ganz großen Augenblick: als er erkennen muss, dass die von ihm begehrte Luise ihm nie gehören wird. Tuschys Augen und Mimik erzählen auf bewegende Weise von enttäuschter Hoffnung und Verlust.

Auch Laura Sundermanns Lady Milford besitzt viele Facetten. Als Luises Konkurrentin um die Gunst Ferdinands erscheint sie zunächst dominant und herrisch, am Ende einsichtig und empathisch. Die Konfrontation der beiden Frauen, ein Wechselspiel zwischen Macht und Ohnmacht, Zoff und intellektuellem Wettstreit, gehört zu den zahlreichen Höhepunkten der Inszenierung.

Luises junge Eltern, dargestellt von Sören Wunderlich und Johanna Falckner, erden das Ganze. Wunderlich bietet als kurzzeitiger Wutbürger adliger Überheblichkeit sehenswert Paroli. Falckner als schlichte Mutter Luises illustriert, dass der Apfel doch sehr weit vom Stamm fallen kann. Das Publikum war begeistert. Der Abend ließ keine Wünsche offen.

Die nächsten Aufführungen: 5., 8., 12., 13., 16., 22., 26. und 30. November. Karten gibt es in den Bonnticket-Shops der GA-Zweigstellen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Die Stunde der Sieger
Abschluss Deutscher Musikwettbewerb in Bonn Die Stunde der Sieger
Zum Thema
Aus dem Ressort