Kölner Museum Ludwig würdigt Maler Bernard Schultze "Wohin das Bild will"

Das dunkle Etwas", heißt ein Bild, "Mich beängstigend" ein anderes in Breitformat, "Am Vorabend zu etwas" ist ein drittes betitelt: Bernard Schultze bezeichnet seine Bilder als bedrohliche Phänomene. Es sind wuchernde, sich verästelnde grafische Strukturen, Farbfelder und -flecken, die ihrem Schöpfer und Maler, aber auch dem Betrachter als eigenständige Individuen entgegentreten.

 Endlose Farnlandschaft: Mehr als fünf Meter erstreckt sich Bernard Schultzes Großformat "Mich bedrängend" aus dem Jahr 1991.

Endlose Farnlandschaft: Mehr als fünf Meter erstreckt sich Bernard Schultzes Großformat "Mich bedrängend" aus dem Jahr 1991.

Schultze hat sie Migof genannt, ein Kunstwort für ein Wesen, das pflanzliche, menschliche oder auch tierische Züge tragen kann, auch als Mischform existiert. Die Ausdehnung des Migof, der aus den Urgründen der Malerei hervorschießt oder auch über die Leinwand wabert, hat sich auch in die dritte Dimension vorangearbeitet, erscheint dort als raumgreifendes Alien.

Schultze, einer der führenden Vertreter der gestisch-abstrakten Malerei Europas und in Deutschland gemeinsam mit K. O. Götz Gründervater des Informel, hat diesem Wesen Migof über ein halbes Jahrhundert Leben eingehaucht, hat die Malerei zu einem atmenden, sich permanent erneuernden Kraftfeld werden lassen. Am kommenden Sonntag wäre Schultze hundert Jahre alt geworden. NRW feiert ihn, der 1968 mit seiner Frau, der Künstlerin Ursula (1921-1999), nach Köln zog, mit einem Strauß von Ausstellungen. Der Düsseldorfer Kunstpalast ist gestartet, das Kölner Museum Ludwig eröffnet seine Schultze-Ausstellung am Freitag, Rolandseck würdigt ihn ab 19. Juni.

Geistiges Zentrum der Schultze-Hommagen aber ist Köln. Hier hat der dreimalige Documenta-Teilnehmer bis zu seinem Tod im Jahr 2005 gelebt. Die Haubrich-Kunsthalle zeigte 1994 die Retrospektive "Das große Format", das Museum Ludwig feierte ihn zum 90. mit "Migof Barock" (2000). Und das Haus ist im Besitz eines großen Teils von Bernard Schultzes künstlerischem Nachlass. Das Ergebnis: Ludwig-Kurator Stephan Diederich hat nicht nur zusammen mit Barbara Herrmann gerade das 3280 Oeuvre-Nummern umfassende dreibändige Werkverzeichnis der Gemälde und Objekte herausgegeben, Diederich konnte auch aus dem eigenen Bestand des Hauses eine exquisite Werkschau zusammenstellen.

Das Museum setzt drei Schlaglichter, eines auf den weitgehend unbekannten Schultze der späten 30er und 40er Jahre, ein weiteres auf den Beginn des Informel in den 50ern mit seinen Fleckenstrukturen und einer Dominanz des Grafischen, der dritte Akzent liegt auf dem malerischen, großformatigen Spätwerk seit den 80er Jahren. Eine spannende, in sich schlüssige Auswahl, die die Wurzeln im Expressionismus und Surrealismus freilegt und Schultzes Arbeitsprozesse spürbar macht: Aus dem Unbewussten heraus entsteht ein erster künstlerischer Impuls, worauf sich der Zeichner und Maler möglichst lang treiben lässt, "wohin das Bild will", wie er einmal schrieb. Irgendwann, mal früher, mal später, setzt die Kontrolle, die ordnende Hand ein.

In diesen Bildern fließt alles ohne klare Richtung. Hier manifestieren sich die Seherfahrungen des Malerei-Kenners Schultze: Dass er Tiepolos Pastelltöne und Turners Farbwolken, Altdorfers Kompositionen und das fiebrige Kolorit Ensors sehr geschätzt und subtil verarbeitet hat, verrät insbesondere das Spätwerk mit seinen ausufernden Ruinenlandschaften, Kunstgrotten und Himmelserscheinungen. Es gibt eine unglaubliche farbliche Opulenz, aber auch die Askese des Neuenahr-Zyklus, als Schultze nach Ursulas Tod nur mit Bleistift und Papier eine neue Mitte suchte. "Eine Wirrnis von Eindrücken nimmt Gestalt an", heißt ein Blatt. Die klar definierte, endgültige Gestalt blieb ein frommer Wunsch. Migofs Farbchaos hat sich durchgesetzt. Das macht Schultze bis heute spannend.

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