Interview mit Revolverheld "Wir wollen nichts machen, mit dem jemand unglücklich ist"

Bonn · Die Hamburger Band Revolverheld eröffnet am 18. Juni die Konzertsaison auf dem Bonner Kunst!Rasen. Erwartet werden mehr als 7000 Fans. Im GA-Interview sprach die Band über das vergangene (Rekord-) Jahr und wie es jetzt weitergeht.

Für Revolverheld war 2014 ein Rekordjahr. Die vier Rockmusiker aus Hamburg heimsten für ihr Studioalbum "Immer in Bewegung" Platin ein, sie gewannen mit dem Hit "Lass uns gehen" in Bremen den Bundesvision Songcontest und spielten eine ausverkaufte Tournee, die in diesem Jahr fortgesetzt wird. Am 18. Juni gastiert die Band auf dem Kunst!Rasen in Bonn. Im Vorprogramm spielt die holländische Gruppe Kensington aus Utrecht, die zurzeit in ihrem Heimatland zu den Publikumslieblingen zählt. Mit Niels Grötsch, Gitarrist und Songschreiber bei Revolverheld, sprach Olaf Neumann.

GA: Mit Revolverheld eilen Sie im Moment von einem Erfolg zum nächsten. Nehmen Sie sich die Zeit, das Glück zu genießen?
Niels Grötsch: Ich versuche, alles bewusst wahr zu nehmen. Wenn wie 2014 so viel passiert und alles funktioniert, verliert man manchmal den Überblick, weil vieles an einem vorbei rauscht.

GA: Was sind denn die persönlichen Glücksmomente?
Grötsch: Ausverkaufte Konzerte! Ich kann mich an Zeiten erinnern, als wir vor null zahlenden Gästen spielten.

GA: Wie haben Sie sich damals motiviert, weiterzumachen?
Grötsch: Wir hatten immer Spaß an der Musik. Und wenn keiner im Publikum ist, kann man für sich selbst spielen. Klar will man, dass die Musik auch gehört wird. Also haben wir uns unser Publikum mit der Zeit erspielt - und hatten das Glück, dass es die Leute interessiert, was wir tun.

GA: Haben Sie je an Ihrer Entscheidung gezweifelt, Berufsmusiker zu werden?
Grötsch: Komischerweise nicht. Es ist das Geheimnis unserer Band, dass wir alle von Anfang an auf einer Wellenlänge lagen. Wir motivieren uns gegenseitig, so dass der Gedanke ans Scheitern nie im Raum stand. Wenn man es wissen will, muss man alles auf eine Karte setzen.

GA: Sind Sie schon mal auf eine Tournee gegangen, obwohl Sie sich ausgebrannt fühlten?
Grötsch: Ja. Gerade in den Anfangsjahren haben wir extrem viel gespielt und uns dabei bis zur Erschöpfung verausgabt. Irgendwann kam jeder an einen Punkt, wo er sich sagte: "Okay, du musst mit deinen Kräften haushalten und zur Ruhe kommen". Das ist in jedem Beruf so.

GA: Was ist die Kosequenz?
Grötsch: Vor ein paar Jahren gönnten wir uns eine Bandpause - in der sich allerdings zwei von uns solo ausgetobt haben.

GA: Sie wirken sehr locker und gelassen. Ihr Normalzustand?
Grötsch: Ja, schon. Auch wenn mein Job anstrengend ist, genieße ich die Zeit mit Revolverheld. Es ist ja nicht für immer der Normalzustand, dass unsere Konzerte überall im Voraus ausverkauft sind. Momentan aber überwiegt bei mir die Euphorie.

GA: Im Pressetext zum Album "Immer in Bewegung" heißt es, Revolverheld sei sich stets treu geblieben. Was bedeutet das?
Grötsch: Wir sind bei der Musik immer nach unserem persönlichen Geschmack gegangen. Wenn man als Band die ersten Gespräche mit Platten- oder Managementfirmen führt, dann erklären einem viele Leute von außen, wie man was machen muss.

GA: Zum Beispiel?
Grötsch: Es wurde uns geraten, einen Gitarristen auszutauschen und noch einen Keyboarder dazuzuholen. Dann werde das schon was. Alle Ratgeber wussten es irgendwie besser.

GA: Und was haben Sie getan?
Grötsch: Wir haben das gemacht, worauf wir Lust hatten. Es ist aber gar nicht so einfach, sich nicht reinreden zu lassen.

GA: Wo ist das Problem?
Grötsch: Nun, man denkt manchmal, man lässt sich eine Chance entgehen, wenn man es jemandem nicht recht macht. Doch wir ließen uns nie beirren und diskutierten bei jedem Album untereinander intensiv.

GA: Worüber?
Grötsch: Über die Frage, was wir musikalisch und textlich eigentlich wollen und wo sich jeder einzelne sieht. Eine Band besteht aus Kompromissen. Jeder einzelne muss schauen, dass er sich in der Musik noch wiederfindet. Wo fängt die Grenze des anderen an? Reden hilft.

GA: Auf diese Weise haben Sie immer eine Lösung gefunden?
Grötsch: Wir haben eine Prämisse ausgegeben: Wir probieren alles aus! Wenn einer mit dem Vorschlag des anderen nicht einverstanden ist, wird die Idee zumindest einmal ausprobiert. Wenn es gar nicht geht, wird sie abgewählt. Wir wollen nichts machen, mit dem jemand unglücklich ist.

GA: Was brauchen Sie, um kreativ sein zu können?
Grötsch: Viele Eindrücke, die mich zum Nachdenken anregen. Wir haben das Glück, dass wir viel unterwegs sind. Ganz wichtig ist auch die Ruhe, erst dann werde ich wirklich kreativ.

GA: Wie kommen Sie mit den Macken Ihrer Kollegen zurecht?

Grötsch: Das Gute ist, dass unsere Band über eine Freundschaft entstanden ist - und nicht über ein Casting. Einige von uns haben sogar zusammen studiert. Wir kennen die Eigenarten des jeweils Anderen. Das ist wie in einer alten Ehe.

GA: Haben Sie Eigenschaften, die nicht jeder akzeptiert?
Grötsch: Auf jeden Fall. Wenn ich mich beispielsweise auf etwas konzentriere, kriege ich von der Umgebung nichts mehr mit. Das ist für die Kollegen nervig. Ich würde das gern abzuschalten, aber es fällt mir schwer.

GA: Wie belohnen Sie sich für die beruflichen Erfolge?
Grötsch: Ich genieße dann den Luxus, nur mit meiner Familie oder meiner Freundin zusammen zu sein.

GA: Wie denken Sie über "Sex & Drugs & Rock & Roll"?
Grötsch: Ich will mir kein Urteil darüber anmaßen, was die Musiker in den 1960er und 1970er Jahren so getan haben. Es war eine kreative Zeit, viele haben versucht, ihre Freiheit auszuleben, auch mit Drogen.

GA: Aber?
Grötsch: Viele dieser Musiker leben nicht mehr oder sind lädiert. In der Hinsicht sind sie keine Vorbilder. Freiheit und Kreativität sind wichtig, aber Drogen und Alkohol dürfen nicht ausufern. Jeder aus unserer Band war schon mal auf einer Aftershowparty betrunken, aber irgendwann hemmt es einen auch. Das war nie mein Weg.

GA: Worum geht es heute im Rock 'n' Roll?
Grötsch: Ich mache Musik, weil sie mich schon in meiner Kindheit inspiriert hat. Auch heutzutage hat man als Künstler seine Freiheiten. Man kann den Mund aufmachen und bestimmte Dinge ansprechen. Wir haben beispielsweise bei einer Kampagne gegen Homophobie mitgemacht. Man kann immer noch den Finger auf Wunden legen, um so die Gesellschaft voranzubringen.

GA: Kann Musik gesellschaftlich etwas verändern?
Grötsch: Ja, weil sie emotionalisiert. Musik hat zwar nicht mehr die Wirkung wie vor 20 Jahren. Heute schallt einem in jeder Werbung irgendwas entgegen, weshalb viele Leute genervt abschalten. Aber nach wie vor gehen sie gerne auf Konzerte und identifizieren sich mit Texten. Das merken wir an Zuschriften.

GA: Hat Sie die Plattensammlung Ihrer Eltern sozialisiert?
Grötsch: Ja. Über meinen Vater bin ich auf Rocklegenden wie Led Zeppelin oder Eric Clapton gestoßen. Das führte dazu, dass ich Gitarrist werden wollte. Irgendwann habe ich mich abgenabelt und meine eigenen Helden gefunden. Das ging los mit Guns'N Roses und Slash. Diese poppigen Songs im rockigen Gewand prägten mich stark.

GA: Led Zeppelin stand für Rebellion. Haben Sie ähnliche Erfahrungen gemacht?
Grötsch: Ich musste zu Hause nicht groß rebellieren. Meine Eltern kommen aus einer Welt, in der man Rockmusik gehört und gesellschaftliche Regeln gelockert hat.

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