Jeder ist auch ein anderer "Willy 100. Im Zweifel für die Freiheit" im Contra-Kreis

Das von Johann Jakob Wurster verfasste und inszenierte Drama ist trotz sorgfältiger Archiv-Recherchen kein Dokumentarstück, sondern eine sehr kurzweilige Revue mit Gesangs- und Tanzeinlagen.

 Es darf gelacht werden: (von links) Juliane Köster, Natascha Petz, Nicolas Heidtmann (abgewandt) und Robert Seiler .

Es darf gelacht werden: (von links) Juliane Köster, Natascha Petz, Nicolas Heidtmann (abgewandt) und Robert Seiler .

Foto: CKT

Ich komme wieder", verspricht der junge Mann, bevor er im Dezember 1936 Berlin wieder verlässt. 1957 wurde er Regierender Bürgermeister der Stadt. Das Stück "Willy 100. Im Zweifel für die Freiheit", das nach der Berliner Uraufführung zum 100. Geburtstag Willy Brandts nun im Bonner Contra-Kreis-Theater zu erleben ist, erzählt eine kurze, wenig bekannte Episode aus dem Leben des späteren Bundeskanzlers und Friedensnobelpreisträgers.

Das von Johann Jakob Wurster verfasste und inszenierte Drama ist trotz sorgfältiger Archiv-Recherchen kein Dokumentarstück, sondern eine sehr kurzweilige Revue mit Gesangs- und Tanzeinlagen.

Die Musik von Thomas Lutz, der auch in etlichen Rollen als Schauspieler mitwirkt, swingt im Stil der dreißiger Jahre. In den munteren, von den Nazis verpönten Sound mischen sich indes fast unmerklich schon düstere Töne.

Die deutsche Hauptstadt hat sich bei der Olympiade als weltoffene Metropole präsentiert - der amerikanische Goldjunge Jesse Owens passte zwar nicht ganz ins rassistische Weltbild, aber die Menschen sind euphorisiert von der Aufbruchsstimmung. Der 22-jährige Willy Brandt, als Herbert Frahm in Lübeck geboren und 1933 nach Oslo emigriert, reist im Oktober 1936 mit gefälschtem norwegischem Pass nach Berlin, um Verbindung mit dem Widerstand gegen die Nazi-Diktatur aufzunehmen.

Seine Vision "Hitler muss weg, und dann kommt Europa" erweist sich freilich als Illusion. Die meisten Menschen haben Lohn und Brot, die Genossen bangen um ihre private materielle Existenz, die Geheimtreffen mit Kontaktpersonen werden zur Farce. Brandts auf Gunnar Gaasland, Student der Journalistik, lautender Pass wird willkürlich eingezogen, er ist vogelfrei in einem absurden System aus Bürokratie und Überlebensangst.

Der Schauspieler Robert Seiler verkörpert perfekt den jungen Idealisten ("Ich werde erst wieder Sozialdemokrat, wenn die Partei zu ihren Werten zurückfindet"), der nicht nur das Vertrauen in seine Mitmenschen verliert, sondern zunehmend an seiner eigenen Identität zweifelt. Der mühsam angelernte norwegische Akzent - ein Beamter merkt sofort, dass "Gunnar" auch auf komplexe deutsche Sätze reagiert, ein norwegischer Landsmann entpuppt sich als glühender Hitlerfan. Verwirrt von dem, was er selbst spielt und dem, was ihm vorgespielt wird, muss er vom Schauplatz fliehen.

Der ist im Contra-Kreis mit seiner Nähe zum Publikum geradezu ideal. Ein paar Stühle, schrille Pfiffe und Dampf im Hintergrund markieren die Eisenbahnfahrt von Paris nach Berlin. Mit rasanten Rollenwechseln zeigt das exzellente Ensemble, dass jeder auch ein anderer ist, gleichzeitig dafür und dagegen, existenziell bedroht und machtlos gegenüber dem Irrsinn des Apparats. Auf allen Treppen im Raum lauern Beobachter, die hinterrücks zuschlagen können, vielleicht aber auch Helfer sind. Als Zuschauer ist man unversehens drin in diesem üblen Dunst aus Denunziation, verschwitzter Sorge fürs Gemeinwohl und frechem Tanz auf dem Vulkan.

Marimba-Klänge tönen hohl wie der bevorstehende Totentanz, viele szenische Miniaturen kündigen die Katastrophe an. Vieles passiert einfach - es ist die gespannte Atmosphäre, die diese Aufführung prägt und aus der Vergangenheit in die Gegenwart hebt. Ein Berliner Großflughafen (damals Tempelhof) ist dabei ein hübsches Aperçu mit Lacheffekt, die Einsamkeit eines naiven Träumers der Grundeffekt. Nach dramatischen drei Monaten schaffte Brandt die Rückkehr nach Norden. Möglicherweise hat es ihn gelehrt, dass Menschen nicht so schlicht funktionieren, wie die gut gemeinte Politik es sich wünscht. Die mutige Aufführung im Contra-Kreis sollte man indes auf keinen Fall verpassen.

Bis zum 16.September, täglich außer montags um 20 Uhr, sonntags 18 Uhr. Karten in den Bonnticket-Shops der GA-Zweigstellen.

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