Kunstmuseum in Bonn Wenn in London die Lichter angehen

BONN · Sie haben sich immer getroffen und nie verstanden", erzählt Andrew Ranicki über die Begegnungen seines Vaters, des Literaturkritikers Marcel Reich-Ranicki, und des Malers Frank Auerbach in London.

 Wo Frank Auerbach zu Hause ist: Das Bild "Mornington Crescent" (1967).

Wo Frank Auerbach zu Hause ist: Das Bild "Mornington Crescent" (1967).

Foto: Franz Fischer

Eine uralte Verbindung, hatte Reich-Ranicki doch im Berlin der 30er Jahre für eine Mark den Abend auf das "vorbildliche Knäblein Frank" aufgepasst, wie Reich-Ranickis Biograf Uwe Wittstock vermerkt. 1939 schickten Auerbachs Eltern den siebenjährigen Frank auf einen Kindertransport nach London in Sicherheit.

Die Eltern sah er nicht wieder, sie wurden von den Nazis ermordet. Reich-Ranicki war zu dem Zeitpunkt bereits nach Polen ausgewiesen worden. Der Kritiker und der Maler hielten nach dem Krieg Kontakt - in gegenseitiger Zuneigung und gegenseitigem Unverständnis.

Dabei ist Auerbach ein Maler, der es seinem Gegenüber zwar nicht unbedingt leicht macht, ihm zu folgen, der aber diesen Weg des Kennenlernens mit wunderbaren Entdeckungen und Farberfahrungen spickt und in sechs Jahrzehnten fast tagtäglicher Arbeit gezeigt hat, was Malerei sein kann. Motivisch wird der Betrachter nicht überfordert: Zauberhafte halbabstrakte Porträts und Akte, sowie Atmosphäre-satte Stadtlandschaften und Atelierinterieurs - viel mehr hat der 84-Jährige nicht gemalt.

Und er hat sich auch kaum fünf Kilometer weg von seinem Wohn-Atelier in der Nähe der Mornington Crescent im Londoner Stadtbezirk Borough of Camden bewegt. Ein Dutzend Bilder in der überragenden Auerbach-Ausstellung, die das Kunstmuseum Bonn zeigt, der ersten dieses Künstlers seit 30 Jahren in Deutschland, kreist um Mornington Crescent und die die benachbarte Albert Street.

Der Blick geht nach Süden und Norden, mal tagt der Morgen, mal herrscht geschäftiges Treiben in der Abenddämmerung, wenn die ersten Laternen angegangen sind und sich das letzte Leuchten der Häuserfassaden gegen den schmutzig-grauen Himmel abhebt. Seine Naturimpressionen holt sich Auerbach vom Pimrose Hill, einer kleinen Erhebung nördlich des Regent Parks, 600 Meter Luftlinie vom Atelier entfernt.

Eine beschauliche, kleine Welt, die der Maler mit unglaublicher Akribie und Besessenheit durchmisst und bearbeitet. Immer wieder geht er die Motive an und immer wieder entsteht etwas Unerwartetes.

Berge aus dick aufgetragener Farbe türmen sich auf den Gemälden der 50er und frühen 60er Jahre. Das Kolorit ist tonig, erdig und düster, die Porträts und Akte, die er damals malt, gerinnen zu kompakten Farbklumpen. Ein radikaler Malakt, den Auerbach mit seinen Freunden Francis Bacon und Lucian Freud teilt, mit denen zusammen er die berühmte "School of London" bildet.

Dass Auerbach jenseits seiner britischen Heimat nie so ein Star wurde wie Bacon oder Freud, hängt vielleicht mit den weniger provokanten Motiven zusammen, an der Maltechnik kann es nicht liegen.

So gesehen, leistet Bonn in Kooperation mit der Tate Modern in London einen großartigen Beitrag, diesen zu Unrecht verkannten Maler endlich in den Vordergrund zu rücken. 71 Bilder aus sechs Jahrzehnten zeigen einen flott, impulsiv und spontan reagierenden und arbeitenden Maler, der gleichzeitig ein äußerst skrupulöser Beobachter war, der häufig am Abend das tagsüber Gemalte wieder abschabte, um am nächsten Morgen wieder von Neuem zu beginnen, wie Catherine Lampert, Auerbachs Vertraute und Kuratorin der Schau, verrät: "An manchem Bild hat er so zwei, drei Jahre gemalt."

Als Kenner der Kunst Rembrandts, Constables und Watteaus und als äußerst selbstkritischer Maler hat er sich seine Motive immer wieder vorgenommen, seine immensen Bilderfahrungen eingebracht und quasi immer wieder von vorne angefangen.

Auf die düsteren Materialschlachten der 50er und 60er folgt eine Aufhellung der Palette, Rot kommt in Farbwürsten direkt aus der Tube auf die Leinwand, strahlendes Gelb breitet sich aus, zackige Pinselzüge sorgen für Struktur. Die Bilder nehmen buchstäblich ab, verzichten auf das Gewicht dicker Farbschichten zugunsten einer großen Leichtig- und Beweglichkeit. Auerbachs sensationelle Schau ist eine Ausstellung über die technischen Möglichkeiten und die Poesie der Malerei.

Und das aus zwei Perspektiven: Der Maler selbst hat die Bilder und die chronologische Abfolge bestimmt. Und er hat der Kuratorin einen Raum mit einem Dutzend Auerbach-Bilder zugestanden, in dem sie ihren ganz anderen Blick auf den Maler, auf Motiventwicklungen und Sujets riskieren darf. Besser geht's nicht.

Malerei pur in Bonn

Das Kunstmuseum bietet sich derzeit als Spielwiese der Malerei an. Gerade wurde mit "New York Painting" eine exzellente Schau aktueller Strömungen aus dem Big Apple eröffnet. Quasi im Vorraum zu Frank Auerbachs Ausstellung hängen als Einstimmung neben Gemälden von Georg Baselitz Werke des deutschen Informel.

Bilder von Fred Thieler sind ebenso dabei wie von Bernard Schultze und Gerhard Hoehme. Und um die Ecke hängen August Macke & Co.

Die Auerbach-Ausstellung läuft bis 13. September, bevor sie in die Tate Modern nach London weitergereicht wird. Di-So 11-18, Mi 11-21 Uhr. Eröffnung: heute, 20 Uhr. Der Katalog kostet 25 Euro.

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