Blick hinter die Kulissen im Akademischen Kunstmuseum Vom Gips zum Datensatz

Bonn · Da die Kölner Archäologen weder über eine Antikensammlung noch über ein Museum verfügen, begehen sie das 50-jährige Bestehen ihres Forschungsarchivs nun bei den Bonner Kollegen im Akademischen Kunstmuseum, wo die Skulpturenforschung auch sonst an Originalen und Gipsabgüssen betrieben wird.

 Die hellenistische Statuengruppe des Ganswürgers (Original in Paris) steht im Mittelpunkt und ist in den vier Medien Stich, Abguss, Foto und 3D-Modell dargestellt.

Die hellenistische Statuengruppe des Ganswürgers (Original in Paris) steht im Mittelpunkt und ist in den vier Medien Stich, Abguss, Foto und 3D-Modell dargestellt.

Foto: Codarchlab Köln

Im Jahre 1964 wurde das "Forschungsarchiv für Antike Plastik" an der Universität zu Köln gegründet. Seitdem ist dort neben der größten spezialisierten Fotosammlung dieser Denkmälergruppe die Objektdatenbank Arachne mit rund zwei Millionen Bilddaten unterschiedlicher Medien angewachsen.

Da die Kölner Archäologen weder über eine Antikensammlung noch über ein Museum verfügen, begehen sie das 50-jährige Bestehen ihres Forschungsarchivs nun bei den Bonner Kollegen im Akademischen Kunstmuseum, wo die Skulpturenforschung auch sonst an Originalen und Gipsabgüssen betrieben wird. Die Jubiläumsausstellung "Antike Plastik 5.0://" führt insbesondere die "Dokumentationsmedien in der Archäologie von der Skizze zum 3D-Modell" vor Augen.

Dabei setzen die Archäologen auf die traditionell gepflegte Methode des vergleichenden Sehens. Stichwerk, Abguss, Fotografie und 3D-Modell, überdies die Handzeichnung stehen auf dem Prüfstand. Als zentrales Exempel haben sie den so genannten Ganswürger gewählt, der ein verlorenes Bronzeoriginal der hellenistischen Stilstufe um 150 v. Chr. wiedergibt.

Frédéric de Clarac hatte 1826 begonnen, sein mehrbändiges Stichwerk "Musée de sculpture antique et moderne" zu publizieren. Damit stellte er sich in eine seit etwa 1500 geübte Tradition der Reproduktionsgrafik, die ganz wesentlich zur Dokumentation und Verbreitung von Antiken beigetragen hat. In seinem dritten, posthum erschienenen Band taucht der im Louvre bewahrte Ganswürger im klassizistischen Umrissstil à la John Flaxman mit knapper Binnenzeichnung auf. Der Blick des Betrachters trifft primär den kindlichen Bauch und den Schnabel der Gans.

Der Abguss dagegen erlaubt die Rundansicht der pyramidal konzipierten Gruppe und betont ihre räumliche Präsenz. Kleine, dunkle Flecken im hellen Gips lassen auf Experimente mit der Bronzierung von Gipsen schließen. Auch an anderer Stelle verweist die Ausstellung auf die wissenschaftliche Qualität von Abgüssen, die etwa zur Rekonstruktion nur fragmentarisch erhaltener Bildwerke wie der Athena Typus Medici verhelfen oder den Originalzustand über die Zeiten verwitterter Reliefs konservieren.

Das Foto des Ganswürgers vor dunklem Hintergrund zeigt seinen kraftvollen Zugriff, vernachlässigt jedoch die Dreieckskomposition der nur einseitig ausgeleuchteten Gruppe. Welch enorme Bedeutung die natürliche oder künstliche Beleuchtung einnimmt, demonstrieren vier Fotos ein und desselben als Apollon oder Dionysos gedeuteten Torsos, dessen Konturen und Volumen an Form gewinnen oder verlieren. Fotografien sind also nicht unbedingt objektiv; sie repräsentieren - den Stichwerken vergleichbar - auch Zeitgeschmack.

Das digitale Modell des Ganswürgers schließlich schwirrt über den Bildschirm und suggeriert Dreidimensionalität, die einer Vielzahl von Fotos und Messbildern zu verdanken ist. Da kommt Lars Olof Larssons Untersuchung zur Allansichtigkeit "Von allen Seiten gleich schön" in den Sinn.

Zweifelsfrei haften diesem modernen Dokumentationsmedium spielerische Züge an. Seine Vorteile jedoch liegen in der Flexibilität der Daten. Das aufgenommene Objekt kann in Format und Ansicht beliebig verändert und aufgerufen werden; und das Original bleibt gänzlich unberührt.

Das Akademische Kunstmuseum vertieft diese kluge Schau mit zahlreichen Beispielen in den verschiedenen Medien, hält aber auch ein wenig Rückschau in die eigenen Anfänge, als im Gründungsjahr 1820 die ersten "Berühmtheiten" in Gips - darunter die Muse Polyhymnia - aus Paris geliefert wurden.

Info

Akademisches Kunstmuseum, Am Hofgarten 21, 53113 Bonn, bis 21. Dezember; Di bis Fr 15 bis 17, So 11 bis 18 Uhr; Begleitbuch 29.90 Euro.

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