Kammerspiele Bad Godesberg Verführung und Verfall

BAD GODESBERG · Theater der Grausamkeit: Mirja Biel inszeniert "Gefährliche Liebschaften" in den Kammerspielen Bad Godesberg.

 Sie ist immer oben: Ursula Grossenbacher und Andrej Kaminsky als Marquise und Vicomte.

Sie ist immer oben: Ursula Grossenbacher und Andrej Kaminsky als Marquise und Vicomte.

Foto: Thilo Beu

Achtung, Frostgefahr in den Kammerspielen! Marquise de Merteuil und Vicomte de Valmont, Hauptfiguren des Romans "Gefährliche Liebschaften" von Pierre-Ambroise-François Choderlos de Laclos aus dem Jahr 1782, treiben ihr böses, zynisches, vollkommen amoralisches Spiel mit ihren Mitmenschen. Sie verführen und korrumpieren mit gut gelaunter Nonchalance, rhetorischer Brillanz und tiefer Menschenkenntnis, als sei's ein Spiel. Sie können nicht anders.

Die junge Cécile ist ihr Opfer, aber auch die tugendhafte Madame de Tourvel und der vor sich hin leidende Chevalier Danceny. Doch die Kälte, mit der die beiden Aristokraten sich gegenseitig zu immer neuen Attacken auf die Umwelt herausfordern, verwundet auch sie selbst. Am Ende liegt der Vicomte in dem Kammerspielen tot auf der Bühne, und die Marquise verliert den Verstand: Les jeux sont faits.

Mirja Biel (Bühne und Regie) inszeniert dieses Theater der Grausamkeit nicht im Stil des englischen Dramatikers Christopher Hampton, der den Roman 1985 glanzvoll adaptiert hat und das Drehbuch für Stephen Frears' Film "Gefährliche Liebschaften" (1988) schrieb. Mirja Biel und Nina Steinhilber haben den französischen Klassiker selbst für die Bühne bearbeitet, mit Ausschnitten aus Heiner Müllers Zwei-Personen-Stück "Quartett" und, wie es drohend im Programmheft heißt, mit Texten von Søren Kierkegaard, Fernando Pessoa, Johan Huizinga, Erich Fromm und Michel Foucault.

Keine Angst, das Mixtum compositum funktioniert als in sich stimmiges Theater. Auf Biels Bühne, die mit drei asymmetrisch übereinander angeordneten, riesigen Sideboards einen kühl-abstrakten, unbehausten Eindruck verbreitet, werden die Verhältnisse schnell eingeordnet. Zu Beginn donnert ein französischer Marquise-Rap durch die Kammerspiele. Ursula Grossenbachers Gesicht wird dazu überlebensgroß auf den Vorhang projiziert: zunächst edel, schön und mit vielen Blumen arrangiert, später dem Verfall anheimgegeben.

Die Inszenierung arbeitet mit Illusionsbrechungen, Projektionen, dem Einsatz von Musik und Gesang. Sie verbindet scharfsinnigen Beziehungsdiskurs mit Comedy, stellt Textblöcke in den Raum und umtänzelt sie gleichsam mit ironischer Geste und apartem Bühnenzauber. Immer wieder schwebt ein Spieler vom Bühnenhimmel herab. Es gibt während der 100 Minuten also auch etwas zu lachen, aber weitestgehend ist die Szene ein Schlachtfeld.

Die Schauspieler beherrschen alle Ausdrucksformen dieser Produktion. Benjamin Berger ist Verlierer und Spaßmacher in einem. Als Danceny greift er zur Gitarre und singt "My heart is feeling pain". Immer wenn er irgendwo hinaufklettern will, scheitert er. Als unterwürfiger Liebhaber der Marquise trägt er ein Playboy-Bunny-Outfit. Putzig.

Julia Preuß als Cécile ist anfangs ein erwartungsvolles, vital-wibbeliges Girlie mit Zöpfen. Was im Zeitraffer folgt, sind Verführung und Verzweiflung. Der Vicomte (Andrej Kaminsky) besorgt das blutige Geschäft im Vampirkostüm. Das Vorspiel ist originell inszeniert. Valmont bleibt unsichtbar, nur seine Worte sind zu hören, die Cécile sichtbar in Ekstase versetzen: Rhetorik als Aphrodisiakum. Worte wirken auch auf Madame de Tourvel, die Johanna Falckner wie einen der Sonne ausgesetzten Eisblock darstellt. Die Selbstgewissheit und Abwehrkräfte der tugendhaften Frau lösen sich bald auf: Valmont kann's.

Ursula Grossenbacher und Andrej Kaminsky geben ihren Figuren Tiefe. Bei ihr werden jenseits der aggressiven Posen einer Powerfrau die Qualen der Einsamkeit spürbar; bei ihm die Gefühle hinter der Maske der Gefühllosigkeit. Lebensgewinner sehen anders aus.

Harter Tobak war das in den Kammerspielen, der permanente Blick in menschliche Abgründe. Aber, wusste der französische Moralist François de la Rochefoucauld: "Die Leiden anderer zu ertragen, haben wir alle genug Kraft."

Die nächsten Aufführungen: 5., 20., 26. und 30. Dezember. Karten gibt es in den Bonnticket-Shops der GA-Zweigstellen.

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