100 Jahre K. O. Götz: Tempo, Geste und Farbe

Wenn es in Deutschland einen Künstler gibt, dem man das Etikett "Comeback des Jahres" anheften kann, dann ist das der Maler Karl Otto Götz. Der war zwar nie richtig weg von der Bildfläche - zu bedeutend ist, was er schuf - doch es war um ihn, der Anfang dieses Jahres hundert Jahre alt wurde, ziemlich still geworden.

 Alles in Bewegung: K.O. Götz' Gemälde "Giverny VII/1" (1988) aus der Sammlung Ströher in Duisburg.

Alles in Bewegung: K.O. Götz' Gemälde "Giverny VII/1" (1988) aus der Sammlung Ströher in Duisburg.

Foto: Wienand

Um seinen Geburtstag, den 22. Februar, herum stand der inzwischen fast erblindete Held der informellen Malerei wieder im Mittelpunkt. Die interessante und aufregende Biografie des vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs Geborenen, der unter den Nazis als "entartet" verfemt mit Mal- und Ausstellungsverbot belegt wurde und nach dem Krieg zu einem der bedeutendsten deutschen Maler avancierte, rückte ins Bewusstsein vieler. Und ein atemberaubendes, unglaublich kühnes Oeuvre wurde erneut ausgebreitet und Kapitel für Kapitel, Gemälde für Gemälde neu gesehen. Das "Bild vom 7.9.1952 (Letztes Ölbild)" war knallharter Schlusspunkt und furioser Neubeginn zugleich.

Tempo, Geste, Aktion, eine neue Technik mit breiten Pinseln und Rakel, die großflächiges Arbeiten ermöglichen, ein neues Malmaterial mit einer Mischung aus Kleister und Gouachefarbe: Götz startete durch, traktierte die auf dem Boden liegende Leinwand, trug Farbe auf, kratzte oder wischte sie wieder weg, stieg erneut ein mit aggressiven Pinselhieben und ausufernden Farbbündeln. "Erst Kleister aufs Papier, dann mit Gouache schnell hineingearbeitet, dann mit dem Messer oder Rakel die Farbe aufgerissen, fertig war das Bild", so beschreibt Götz seine Technik.

Man muss nur das "Letzte Ölbild" von 1952, ein durchaus lebendiges, von widerstreitenden abstrakten Formen bevölkertes Bild, die durch feste Konturen gebändigten erscheinen, mit wenige Tage später entstandenen Gemälden vergleichen, um die Brisanz dieser Götz'schen Malerrevolte zu begreifen. Gewischte Spuren, Kratzer, eine größere Beweglichkeit der Geste und die Flüchtigkeit der dünn aufgetragenen Farbe prägen das neue Oeuvre. Über 60 Jahre lang arbeitete sich Götz an dem Dreiklang Tempo-Geste-Farbe ab: Auf koloristisch düstere Phasen folgten wahre Farbexplosionen, mal war die Geste ein eleganter weitschweifiger Schwung, der das Bild gleichsam umfasste, mal ein nervös und aggressiv zupackendes, zerstörerisches Element.

Sämtliche Aspekte, Wendungen und Wirrungen, Phasen und Entwicklungen dieses ausufernden Oeuvres vereinigt nun ein mehrere Kilo schwerer zweibändiger Werkkatalog, den Ina Ströher im Wienand-Verlag herausgebracht hat. Zweieinhalb Jahre lang hat die 28-jährige Kunsthistorikerin Archive, Ausstellungs- und Auktionskataloge gewälzt, hat Sammler und Museen kontaktiert. Ihr großer Vorteil: Sie ist mit der Kunst von K. O. Götz aufgewachsen. Ihre Eltern sind Sylvia Ströher (Enkelin des Wella-Erben Georg Ströher) und Ulrich Ströher, beide Besitzer einer umfangreichen Kunstsammlung und Mäzene des Museums Küppersmühle in Duisburg. 2005 erwarben die Ströhers große Teile der Sammlung von Hans Grothe, die früher in Bonn beheimatet war.

Während weite Teile des Frühwerks 1945 durch die Bombardierung von Götz' Wohnung in Dresden verbrannten, sind die weiteren Phasen des Werks großteils exzellent dokumentiert. Ina Ströher konnte bei ihren Recherchen auf die Autobiografie des Malers, die ersten Werkkataloge von Joachim Lissmann und das Archiv von Götz zurückgreifen. Als Götz und seine Frau Rissa 1975 in ihr Wohn- und Atelierhaus im Westerwald zogen, wurden die dort entstandenen Arbeiten größtenteils professionell fotografiert. Schwieriger gestaltete sich, so Ströher, die Suche nach Bildern vor 1970. Dass der Maler insbesondere in den 50er und 60er Jahren viele Arbeiten direkt aus dem Atelier verkaufte oder über Galerien auf den Markt brachte - worüber nur lückenhafte Dokumentationen existieren - machte die Recherche schwierig.

Letztlich bietet Ströher aber ein breites Panorama über das Werk dieses Malers, der als Akademieprofessor in Düsseldorf Sigmar Polke, Gerhard Richter und Franz Erhard Walther prägte. Wo immer es ging, zeigt Ströher die Götz-Bilder in exzellenter Druckqualität, erwähnt die einschlägige Literatur und die bedeutendsten Ausstellungs-Stationen. Die wichtige Ergänzung kommt aber erst 2016: Dann soll ein Begleitband über Deutschlands einflussreichsten Informel-Maler das Oeuvre-Verzeichnis abrunden. Im Begleitband wird sich aufbereitet finden, was viele weitere Publikationen dieses Götz-Jahres zusammengetragen haben. Denn das neue Oeuvre-Verzeichnis ist nicht die einige Hommage an Götz in diesem Jahr.

Eine großartige Retrospektive, die in der Berliner Neuen Nationalgalerie startete, dann in der Duisburger Küppersmühle und im Museum Wiesbaden zu sehen war, eröffnete eindrucksvoll das Götz-Jahr. Es folgte ein Überblick über das Werk in den Kunstsammlungen Chemnitz. Weitere Ausstellungen, etwa im Siebengebirgsmuseum Königswinter, das die Götz-Sammlung von Marianne Hennemann präsentierte, riefen das herausragende Werk von Götz in Erinnerung. Auch das Aachener Suermondt-Ludwig-Museum und der Düsseldorfer Kunstpalast brachten Facetten aus dem Werk. Natürlich stieg auch der Kunsthandel in den Jubiläumsreigen ein: Die Kunstmessen dieses Jahres zeigten, wie viele und vor allem wie viele qualitätvolle Götz-Gemälde noch auf dem Markt sind.

K.O. Götz. Werkverzeichnis in zwei Bänden, bearbeitet von Ina Ströher. Mit einem Vorwort von Christoph Zuschlag. Wienand Verlag, 936 Seiten mit 973 farbigen und 93 Schwarz-Weiß-Abbildungen, 198 Euro (Subskriptionspreis bis 31. Dezember: 178 Euro).

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