Gitarrist Ricardo Gallèn im Kunstmuseum Technik im Dienst der Atmosphäre

Bonn · Auf der Bühne steht ein Stuhl. Kein Mikrofon, kein Notenständer, kein Wasserglas für die trockene Künstlerkehle. Der Stuhl spricht nicht, sagt aber alles: Der Künstler, der gleich Platz nehmen wird, mag weder sich noch seine Zuhörer ablenken. Das Wesentliche trägt er bei sich: die Gitarre. Und in sich: die Musik.

Auftritt Ricardo Gallèn. Jahrgang 1972, Spanier aus Lineares, dunkler Anzug, sein Haar trägt er wie der Trainer des FC Bayern München. Applaus. Gallèn eröffnet nicht spanisch, sondern deutsch - mit der Suite BWV 995 von Johann Sebastian Bach. Bereits im Präludium wird wahre Meisterschaft hörbar. Gallèn, der als Professor an der Hochschule für Musik in Weimar tätig ist, realisiert selbst furiose Läufe und kühne Tempowechsel mit unverschämter Regungslosigkeit. Was einzig zählt, ist das gemäßigte Schritttempo, die majestätische Gravitation dieser Satzform.

Das 124. Meisterkonzert meldet ausverkauft. 200 Besucher, mehr geht nicht. Bonner Gitarristen, Lehrer wie Schüler, ambitionierte Laien, auch Familien mit Kindern bestaunen die lässige Virtuosität des Spaniers. Seit 1992 existiert diese Konzertreihe, und einmal mehr ist es dem Bonner Organisator Thomas Offermann gelungen, ein Schwergewicht zu verpflichtet. Offermann, der als Professor für Klassische Gitarre in Berlin lebt, kann sich in solchen Fällen auf sein gutes Netzwerk verlassen.

Aber auch Ricardo Gallèn ist bestens vernetzt, zum Beispiel mit Leo Brouwer. Der kubanische Komponist und Gitarrist, 1939 in Havanna geboren, hat seine Sonata del Pensador dem Spanier gewidmet. Gallèn spielt die vier Sätze im Bonner Kunstmuseum in europäischer Erstaufführung. Die lateinamerikanische Färbung ergibt sich, wenig überraschend, aus den regionalen Rhythmen. Brouwer lässt aber auch gerne Obertöne schwingen und erzeugt damit meditative Momente. Gallèn gelingt hier, was ihm schon bei Bach gelungen ist: Er stellt Technik in den Dienst der Atmosphäre.

Zwischen Bach und Brouwer liegt Fernando Sor. Und so kommt auch der spanische Klassiker der Gitarrenliteratur zu Ehren. Mit der Grande Sonata Op. 25 - und einer sympathischen Etüde als Zugabe.

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