John Nelson und das Beethoven Orchester Sinnlicher Hochgenuss

Vier Jahre lang rang Beethoven um sein Monumentalwerk, dann war die "Missa solemnis" fertig - aber nicht, um, wie ursprünglich geplant, eine Bischofsweihe zu untermalen: Die kraftvolle, kämpferische, aber auch erschütternd verzweifelte Musik lotet alle Tiefen menschlicher Seelenzustände aus und sprengt jeden liturgischen Rahmen.

 Leidenschaft und Prägnanz: Beethoven Orchester mit dem Philharmonischen Chor aus Brünn.

Leidenschaft und Prägnanz: Beethoven Orchester mit dem Philharmonischen Chor aus Brünn.

Foto: Von Hagen

In der Beethovenhalle wird sie bei der Aufführung in der Reihe "Chor um 11" zu einem Ereignis, das auch die Kirchgänger im Saal für den eventuell verpassten Sonntagsgottesdienst mehr als entschädigt.

Unter John Nelson, dem ausgewiesenen Spezialisten für große geistliche Chorwerke, gelingt es dem Tschechischen Philharmonischen Chor aus Brünn und dem Beethoven Orchester Bonn (BOB) auf eindrucksvolle Weise, die Kontraste und Extreme der Messe herauszuarbeiten und ihren existenziellen Furor zu entfesseln.

Mit knappen, präzisen Gesten steuert Nelson den klangsinnlichen Kampf von Licht und Finsternis, ohne Feinheiten aus dem Blick zu verlieren. Übergänge wie den zwischen dem entschlossenen "Et expecto resurrectionem" und der galoppierend schweren, aber federnd leicht gesungenen Credo-Schlussfuge "Et vitam" gestaltet er plastisch und setzt Details leuchtend in Szene - wie das mehrfach hervorgestoßene Amen, mit dem, so scheint es, Beethoven sich selbst seines wackligen Glaubens zu versichern sucht.

Die 64 flexiblen und energiegeladenen Sänger des Chors bleiben selbst in schwierigsten Passagen und schwindelnden Höhen geschmeidig und sorgen bei den jähen dynamischen Kontrasten für die größtmögliche Wirkung. Auch die Sopranistin Aga Mikolaj, der kurzfristig eingesprungene Mezzo Eva Vogel, Tenor Jeremy Ovenden und Bass Matthew Rose haben als exzellentes Solistenquartett, etwa im himmlischen Benedictus oder bei den tumultartigen Steigerungen im Agnus Dei, großen Anteil am Erfolg des Unternehmens. Und das Orchester?

Das agiert mit einer Leidenschaft und Prägnanz, die seinem Namen alle Ehre machen: Das BOB spielt nicht Beethoven, es atmet und lebt ihn. Angeführt vom jungen Konzertmeister Mikhail Ovrutsky, der seine Geige in den ätherischen Höhen seines Benedictus-Solos singen lässt. Das Publikum lauscht ergriffen und bereut in keiner Sekunde, diesen Sonntagvormittag mit geistlicher Übung und sinnlichem Hochgenuss verbracht zu haben.

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