Garten der Bundeskunsthalle Sinnenrausch auf dem Bonner Dach

Bonn hat eine neue Attraktion: Einen Sommer lang wird Andrang herrschen auf der schönsten Dachterrasse der Stadt, werden sich Schlangen bilden an der mit kleinen Ruinen bestückten "Trümmerbahn" von Ina Weber, der einzigen Minigolfanlage mit Blick über Bonn, zum Siebengebirge und Posttower.

 Kunst-Erntezeit: Michael Beutlers bunte Heuballen auf dem Dach der Bonner Bundeskunsthalle.

Kunst-Erntezeit: Michael Beutlers bunte Heuballen auf dem Dach der Bonner Bundeskunsthalle.

Foto: Volker Lannert

24 Minigolfschläger liegen bereit für den mitunter ziemlich anspruchsvollen Parcours. Die Bundeskunsthalle zieht erneut ihre Trumpfkarte und bringt das Dach des Peichl-Baus ins Spiel. Nach dem Publikumsrenner Liebermann-Garten (2011) und dem "Orientalischen Garten" der Kleopatra (2013) gibt es nun bis Mitte Oktober "Ärger im Paradies". Die Ausstellung mit Arbeiten von 14 international renommierten Künstlern knüpft an großartige Kunstinszenierungen auf dem Dach an - Niki de Saint-Phalle (1992), Alexander Calder (1993) und Tony Cragg (2003) -, und ist doch ganz anders.

"Ärger im Paradies" aktiviert das gesamte Areal, startet auf dem Vorplatz, bespielt Zwischenräume wie den Hof vor dem Eingang und das Foyer, bietet dann auf dem Dach ein tolles, weitläufiges Panorama rund um die drei türkisen Lichtkegel der Bundeskunsthalle, den lauschigen Biergarten und unzählige Sonnenliegen.

Eine reine Wohlfühlausstellung ist es aber nicht, schließlich wird mit "Ärger im Paradies" schon angedeutet, dass etwas schiefläuft im Garten Eden. Das fängt mit Christian Philipp Müllers riesiger Treppe "Observatorium" an, die mit ihrer exotischen Bepflanzung mit Saatgut aus Syrien, Afghanistan, Eritrea und sieben weiteren Staaten an die deutsche Asylproblematik erinnert, und hört bei Vajiko Chachkhianis vertrocknetem und verbranntem Wäldchen auf dem Dach noch nicht auf, das an den kurzen und heftigen Krieg 2008 in Georgien erinnert. Das klingt zunächst nach erhobenem Zeigefinger, ist aber sehr subtil, sogar poetisch formuliert.

Die Kuratoren Susanne Kleine und Rein Wolfs haben für ihre "Paradies"-Show eine exzellente Wahl mit überzeugenden, anregenden, nachdenklichen oder auch nur verblüffenden Arbeiten getroffen. Wo gibt es eine Ausstellung, bei der man unvermittelt von einer Sängerin mit einem individuell ausgesuchten Lied beschenkt wird? Der Autor dieser Zeilen wurde mit einem "Over The Rainbow" beglückt, kehrte nochmals zurück und bekam ein hübsch gesungenes "Kommt ein Vogel geflogen" mit auf den Heimweg. Tino Sehgal, der das Projekt "This you" konzipiert hat, arbeitet mit immaterieller Kunst. In diesem Fall sind acht Sängerinnen im Schichtdienst auf dem Dach aktiv. Mitnehmen kann der Besucher nicht nur diese akustischen Perlen, sondern auch eines der 3000 T-Shirts mit Fragen wie "Gibt es ein Leben auf dem Mars?" oder "Wie bald ist jetzt?" von Rirkrit Tiravanija im Foyer.

Michael Beutlers 18 bunte Heuballen aus meterlangen Sangria-Trinkhalmen liegen auf der Wiese, können vom Besucher bewegt werden. Thea Djordjadze hat einen spröden, minimalistischen "Sonnenaufgang" am Rand eines Feldes inszeniert, auf dem "Daucus carota subsp. carota", vulgo: die wilde Möhre, wachsen soll. Dies ist ein Vorbote für das Dach-Event des kommenden Jahres mit der Gartenkunst des Fürsten Pückler-Muskau. Nicht weit entfernt sprießen Bohnen aus dem Kosovo, sollen zu einem Zelt zusammenwachsen, in dem sich, so der Künstler Petrit Halilaj (der gerade auch im Erdgeschoss der Bundeskunsthalle eine Einzelausstellung hat), Liebespaare treffen sollen.

Woanders züngeln hydraulisch betriebene Flammen empor (Michael Sailstorfer), suchen Porzellanvögel (Tobias Rehberger) Anschluss, lauert eine sehr schöne, aber äußerst scharfkantige Mauerkrone auf Opfer (Olaf Nicolai) oder läuft in einer urigen Hütte ein Park-Krimi-Video mit spannungsvollem Rascheln und Rütteln (Natascha Sadr Hadhighian). Der Besucher kann ferner den Kanarienvögeln Naranchia und Laverda zusehen, wie sie in einem 60-Meter-Drahtkanal ihre Runden drehen (Alvaro Urbano, Petrit Halilaj). Verabschiedet wird man von einer Phalanx martialisch in antiker Kriegsformation aufgestellter Zypressen (Maria Loboda) und einem Buswartehäuschen aus Süddeutschland, das Sailstorfer zu einem Einzimmerappartement umgebaut hat. Ein kleines Paradies mit Haltestelle.

Bundeskunsthalle bis 11. Oktober. Di, Mi 10-21, Do-So 10-19 Uhr. Ausstellungsführer 4,80 Euro

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Neue Musik zwischen Wohnwagen
Beethoven Orchester im BaseCamp Neue Musik zwischen Wohnwagen
Aus dem Ressort
Sturm und Klang
Susanne Kessel bei den Bürgern für BeethovenSturm und Klang