Premiere auf der Werkstattbühne Sie wollen nur spielen

Bei Gesellschafts- und anderen Spielen lautet die erste Regel immer gleich: sich mit den Regeln vertraut zu machen. Daran hält sich auch der Beginn der Bühnenadaption des Romans "Spieltrieb" der in Bonn geborenen und aufgewachsenen Autorin Juli Zeh.

 Alev (Manuel Tschunke) glaubt, das Spiel unter Kontrolle zu haben. Im Hintergrund Maike Jüttendonk und Benjamin Grüter.

Alev (Manuel Tschunke) glaubt, das Spiel unter Kontrolle zu haben. Im Hintergrund Maike Jüttendonk und Benjamin Grüter.

Foto: Thilo Beu

"Was, wenn das, was wir unsere Weltanschauung nennen, den Urenkeln der Nihilisten nichts anderes wäre als ein staubiger Devotionalienladen?", rezitiert Ursula Grossenbacher in der abgedunkelten Werkstattbühne den leicht variierten Romanbeginn. "Was, wenn ihnen Bibel, Grundgesetz und Strafrecht nie mehr gegolten hätten als Anleitung und Regelbuch zu einem Gesellschaftsspiel?" Man muss sich also auf einen Bühnen-Essay einstellen.

Die selbst ernannten Urenkel der Nihilisten, das sind die 15-jährige Ada und der 18-jährige Alev, die das fiktive Bonner Ernst-Bloch-Gymnasium besuchen. Ada ist hochbegabt, eine brillante Außenseiterin, die sich Mitschülern und Lehrern überlegen fühlt und ihre Sätze mit Leichtigkeit und Treffsicherheit führt wie eine Florett-Olympionikin ihre Waffe. In Ensembleneuzugang Maike Jüttendonk findet sie eine ebenso rotzige wie gewandte Darstellerin.

Doch meistens ist Ada nur gelangweilt. Eine perfekte Spielpartnerin für den neuen Mitschüler Alev (ebenfalls neu im Ensemble: Manuel Zschunke), der, obgleich ein paar Mal sitzengeblieben, durch Intelligenz, Eloquenz und sein Charisma ihre Bewunderung gewinnt. Er gibt vor, impotent zu sein, was ihm für das bevorstehende Spiel die Freiheit lässt, von der Seitenlinie aus seine Züge zu planen.

Spielfigur ist der sensible polnische Sport- und Deutschlehrer Smutek (Benjamin Grüter). Er ist von der Sportlichkeit Adas, die so schnell wie stoisch ihre Runden um den Platz absolviert, ebenso angetan wie von Alevs literarischem Geschmack, der ihm gleichsam zur Begrüßung Robert Musils Romanschwergewicht "Der Mann ohne Eigenschaften" für die Schullektüre vorschlägt, ein Buch, das Smutek liebt.

Das Spiel kann beginnen: Ada verführt Smutek in der Lehrerdusche, Alev hält das Liebesspiel mit der Kamera fest. Mit dem Video erpressen sie Smutek. Das Geld ist für die Urenkel der Nihilisten zweitrangig. Sie wollen ja nur spielen.

Die dunkle Bühne mit der gefliesten Lehrerdusche in der Mitte (Bühne: Valentin Baumeister) ist ein brauchbarer Laborraum für die Versuchsanordnung. Hier kann sich das auf vier Personen eingeschmolzene Personal prächtig austoben. Es ist den großartigen Darstellern zu danken, dass in Laura Linnenbaums Inszenierung aus den oft wie gestanzt und sehr altklug daherkommenden Sätzen immer mal wieder starkes Drama werden kann.

Manuel Tschunke zeichnet den Alev als Jugendlichen, dessen selbstgefällige Gleichgültigkeit ihn nicht einmal zum Menschenfeind taugen lässt. Vielschichtiger ist da Ada, deren Persönlichkeit um ein paar Nuancen reicher erscheint. Sie lernt irgendwann, dass das Leben doch mehr ist als ein Spiel, und Smutek mehr als eine Spielfigur. Dessen seelische Verwirrungen weiß Benjamin Grüter den Zuschauern eindringlich zu vermitteln. Ursula Grossenbacher übernimmt mit der für die Bühnenfassung vom Lehrer zur Lehrerin mutierten Höfi so etwas wie eine Erzählerrolle.

Sie schließt auch die Richterin im Roman ein, die sich am Ende des 600-Seiten-Wälzers zu erkennen gibt und von der das Zitat des Anfangs eigentlich stammt. Die mit lebhaftem Applaus bedachte Bühnenfassung, die Laura Linnenbaum und Johanna Vater für Bonn geschrieben haben, hat unbestritten ihre Stärken. Die Frage aber, warum der bereits für die Schauspielhäuser in Hamburg und Köln bearbeitete, Theorie getriebene Roman nun in einer weiteren Fassung auf die Bühne gehört, haben sie nicht beantwortet.

Termine: 26. September, 9., 14., 18. und 23. Oktober.

Karten in den Bonnticket-Shops der GA-Zweigstellen.

Auf einen Blick

Das Stück: Eine auf weniger als zwei Stunden reduzierte Version von Juli Zehs fast 600 Seiten starkem Roman.

Die Inszenierung: Laura Linnenbaum lässt immer wieder Raum für intensive Momente.

Die Schauspieler: Die Ensembleneuzugänge sind ein Gewinn für Bonn.

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