Dave Eggers' neuer Roman Sehnsucht nach großen Zielen

Eben noch nahm er in "Der Circle" den gläsernen Internetmenschen unter die Lupe, und schon schiebt er das nächste gesellschaftskritische Buch nach.

 Gemischte Gefühle: Der Autor Dave Eggers.

Gemischte Gefühle: Der Autor Dave Eggers.

Foto: Kiepenheuer&Witsch

Verächter sehen Dave Eggers deshalb als ambulanten Weltenretter, als den Bono der Literatur. Dabei schlägt der 1970 geborene US-Autor den U2-Frontmann mit seiner Fantasie um Längen. Unter dem sperrig-biblischen Titel "Eure Väter, wo sind sie? Und die Propheten, leben sie ewig?" packt er einen knappen, schnellen Roman, der nur aus Dialogen besteht. Thomas, Mitte dreißig, hat da mal ein paar Fragen ans große Ganze.

Und so verschleppt er dank Chloroform und Elektroschocker sechs relevante Zeitgenossen in einen verlassenen Militärstützpunkt am Pazifik, bindet sie in verschiedenen Hallen an Pfeiler und verhört sie. Vom Astronauten, dem Idol seiner Jugend, will er wissen, warum es nicht mehr im Shuttle zu den Sternen geht. "Wir haben gerade fünf Millionen für sinnlose Kriege verpulvert. Die hätten wir in das Mondprojekt stecken können", klagt Thomas. Die Mühen der Ebene öden den jungen weißen Mann an, und so wirft er dem Ex-Kongressabgeordneten vor: "Ihr hättet irgendein Ziel für mich finden müssen."

Im rhetorischen Schattenboxen um Budgets und Prioritäten leitartikelt Eggers gelegentlich, doch die sechs Gefangenen des Kidnappers stammen glücklicherweise zur Hälfte aus seinem engsten Umfeld. Da gibt es den ehemaligen Lehrer, Mr. Hansen, der sich Thomas und andere Jungs zu "schwitzigen Ringkämpfen" nach Hause einlud. Ein Pädophiler, der Körper betatschte und Seelen zerbrach? Oder eher ein harmloser Perverser, der seine Neigungen zügelte?

Hansen gibt Widerworte, rechtfertigt sich, gewinnt im Schlagabtausch fast die Oberhand. In diesem Gespräch zweifeln wir erstmals an Thomas' Version der Dinge. Und der Eindruck latenten Wahnsinns wächst,wenn er seine 62-jährige Mutter ebenfalls ankettet und ihre frühere Drogensucht sowie ihr lebhaftes Liebesleben für seine Misere verantwortlich macht.

Allmählich gewinnt der Protagonist schillernde Plastizität, wird in seiner Verletzlichkeit wie seiner Wehleidigkeit, in nachvollziehbarer Empörung wie grenzenloser Selbstgerechtigkeit begreiflich. Und während über dem Gebäude schon bedrohlich die Hubschrauber der Einsatzkommandos kreisen, spitzt sich die Lage drinnen zu.

Eggers jongliert dabei geschickt mit unseren gemischten Gefühlen. Kaum hat man sich endgültig entschlossen, Thomas als Psychopathen abzuhaken, da brilliert er im Verhör eines Cops. Und bekommt heraus, dass sein halbvietnamesischer Freund Don damals wohl tatsächlich von Polizeikugeln durchsiebt wurde, obwohl er nur wild mit einem Steakmesser herumfuchtelte.

So schafft der Roman in den besten Passagen beides: Er durchleuchtet ein moralisch entkerntes Gemeinwesen und einen verwirrten, gefährlichen Mann, wie es ihn nicht nur in Amerika gibt. Thomas' letzte Drohung: "Wenn ihr nichts Großes habt, woran Männer wie wir mitwirken können, werden wir all die kleinen Dinge auseinandernehmen. Wohnviertel für Wohnviertel, Gebäude für Gebäude, Familie für Familie." Fürwahr keine frohe Prophetenbotschaft.

Dave Eggers: "Eure Väter, wo sind sie? Und die Propheten, leben sie ewig?" Roman, deutsch von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann. Kiepenheuer & Witsch, 220 S., 18,99 Euro

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