Bonn im Roman Schluss mit der Lieblichkeit

Bonn · Minister und Abgeordnete, Beamte, Angestellte, ganze Familien sitzen auf gepackten Koffern. Jugendliche, Künstler, Intellektuelle zieht es auch nach Berlin. Plötzlich merken sie, wie farblos, langweilig ihre Heimat Bonn ist.

 Bonn sitzt auf gepackten Koffern, die Politik zieht um: 1999, in dem Jahr, in dem Lars Brandts Roman spielt, schleppt Bundesbauminister Franz Müntefering die letzte Umzugskiste aus dem Möbelwagen.

Bonn sitzt auf gepackten Koffern, die Politik zieht um: 1999, in dem Jahr, in dem Lars Brandts Roman spielt, schleppt Bundesbauminister Franz Müntefering die letzte Umzugskiste aus dem Möbelwagen.

Foto: dpa

So unscheinbar, dass sie Bonn nicht Bonn nennen, sondern "die Stadt". "Die Stadt, in der wir lebten, konnte außerdem nichts dafür, dass sie zu klein war. Unsere Schuld, wenn wir dort klebenblieben." Der Autor Lars Brandt lässt seine Romanfigur, den Maler Rudi, diese illusionslosen Sätze denken. Brandt, der in Bonn lebt, erwähnt die Stadt in seinem Romanerstling "Gold und Silber" (2008) mit keinem Wort.

Dabei ist die Stadt, in der Rudi, Ginger und eine Handvoll Freunde entweder auf Sinnsuche sind oder in existenzieller Agonie abhängen, unverkennbar Bonn. Brandt findet wunderbare Bilder. "Diese Stadt ist kein unfreundlicher Ort, aber ein verschlagener Fleck", schreibt er, "nichts ist dort, was es scheint." Das fängt schon beim Strom an, der, so Brandt, die Stadt öffne und "auf Nabelhöhe sozusagen, mit unheimlicher Konsequenz den Charakter" wechsle. Erst sagenhafte Hügel und geschmeidige Kurven, dann "ist gründlich Schluss mit der Lieblichkeit", hart, flach und streng werde es. "Eben hier vermählen sich die Ödnis des Flachlands und die Stickigkeit des Flusstals."

Brandts Beobachtungen lassen sich auf das Jahr 1999 datieren. Das Umbruchjahr schlechthin. Im Juni 1991 hatte der Bundestag in Bonn die Entscheidung für Berlin als Bundeshauptstadt getroffen, im September 1999 nahm der Bundestag im Berliner Reichstag seine Arbeit auf. Im Herbst 1999 sinniert Rudi: "Ich wollte unbedingt weg - eigentlich. Dabei ging es mir nicht schlecht." Einige seiner Freunde haben den Absprung schon geschafft, andere kleben an "unserer kleinen Stadt am großen Fluss". Untergangslyrik: "Vom Strom in seinem Bett stieg der schwüle Dunst der Undeutlichkeit empor und legte sich auf alles, was nicht lebte, und alles, was lebte, und machte das eine wie das andere."

Brandt zieht beschreibend durch die Stadt, sieht "gesichtslose Häuser", die "mit Sinn für das falsche Detail erstellte Imitation eines römischen Krans", der den Hunden des Viertels "als Urinal" dient, das Schloss mit der Universität, das "dottergelb gegen den blauen Himmel" anglänzt, und ein Gotteshaus, das als Doppelkirche von Schwarzrheindorf identifizierbar ist. Zu eng und zu klein, "alles wie Blei": Bei Brandt ist diese Stadt, die er ausdrücklich nicht Bonn nennt, das Biotop für eine Gesellschaft, die sich in steter Auflösung befindet. Ein bizarres, surreales Personal. Hauptfigur Rudi ist in seiner Fantasie eine Art Ritter Lancelot, der um seine Guinevere wirbt, die aber Ginger heißt "schön, aber nicht hübsch" ist, sich als "launisch, preziös und schamlos ignorant" erweist, "wenn eine Sache nicht interessierte".

Rudis Clique jammert sich durch den Tag, führt gestelzte Reden, tafelt allabendlich beim Spanier, schmiedet Fluchtpläne aus der Bonner Ödnis. Viel mehr als ein Trip nach Berlin oder Rom ist da nicht drin. Mit einer feinen Prise Ironie begleitet Brandt die Rituale einer desillusionierten Boheme, Rudis bleiern brütende Melancholie findet ihren Widerhall in Brandts Natur- und Stadtbeschreibungen.

Dass ausgerechnet Gingers Mann und Rudis Rivale Jarl, ein Dogma-Filmregisseur, der Absprung nach Berlin gelingt, ist eine der schönen Spitzen in diesem Roman. Und literarisch lockerleichte Miniaturen wie die Vorstellung des Freundes Paavo mildern die grassierende Schwermut im Roman: "Von seinen Nebentätigkeiten als Weinhandelsgehilfe und Taxifahrer brachte Paavo halbleere Probeflaschen und wortkarge Freundinnen mit, denen er, gehüllt in die Wolke aus Tabakrauch und Gelächter, die Blusen öffnete, während wir anderen über ihn staunten." Eben dieser Paavo hatte vor Zeiten "beim Wettschwitzen in einer karelischen Sauna" eine Staatskarosse aus dem Kremlfuhrpark gewonnen, die im Roman eine Rolle spielt.

Wie in dem ergreifenden Buch "Andenken" (2006), das der Autor über seinen Vater Willy Brandt schrieb, wirft Lars Brandt dem Leser auch in "Gold und Silber" Textsplitter, Gedankenfragmente zu, die selten länger als eine halbe Seite sind. Diese offene Form des Gedankenflusses fördert feine Alltagsbeobachtungen zutage wie die der dicken Busse, die mit "fistelnden Motoren" an einem vorbeisummen "wie bereifte Riesenkastraten". Oder erlaubt den tiefen Blick in die Seele des gescheiterten Künstlers, der "lieber die Schönheit riskiert", als seine Elaborate durch "die Hände eines geölten Verkäufers" an die "schöngeistige Wand eines gemütlich-ironischen Bürgers" gelangen zu lassen. Ein wunderbares, satt aufgetragenes Boheme-Klischee, das man auch heute noch in dieser kleinen Stadt am großen Fluss trifft.

"Das Leben in unserer Stadt blieb trotzdem nicht dasselbe", sinniert Rudi gegen Ende des Romans. "Die Minister wurden nicht vermisst, die Karnevalprinzessinnen fielen nun Sportlern und Managern um den Hals, doch war schwer auszumachen, was zur allgemeinen Metamorphose gehörte und wo es nur um meine eigene Veränderung durch all das ging, was ich erlebt hatte in einem Jahr, das niemand je vergessen wird, der dabei war."

Lars Brandt: Gold und Silber. Roman. Hanser. 303 S., 19,90 Euro

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