Kammerspiele in Bad Godesberg Schauspiel eröffnet die Saison mit "Karl und Rosa"

BONN · Der Tag der Einheit war schon fast angebrochen, als das neue Bonner Schauspiel die Zuschauer in die Bad Godesberger Nacht entließ. Wer Lust hatte, konnte natürlich auch den 3. Oktober bei der Premierenfeier willkommen heißen.

 Herbeigefieberter Geliebter: Sophie Basse (Rosa) und Alois Reinhardt (Hannes).

Herbeigefieberter Geliebter: Sophie Basse (Rosa) und Alois Reinhardt (Hannes).

Foto: Thilo Beu

Man nahm aus den Kammerspielen Bad Godesberg einige wichtige Erkenntnisse mit. Alice Buddebergs Inszenierung von "Karl und Rosa", einer Geschichte zwischen Himmel und Hölle nach dem Roman von Alfred Döblin, dauert rund vier Stunden, wendet sich also an ein Publikum, das an deutscher Revolutionsgeschichte anno 1918 ein gesteigertes Interesse hat - und an Figuren wie Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, denen man dabei zusieht, wie sie kämpfen, lieben und leiden.

Leiden vor allem daran, dass sie die Welt und die Menschen nicht nach ihrem Willen formen können. Wie Barbara Sukowa in Margarethe von Trottas Film "Rosa Luxemburg" (1986) erforscht Sophie Basse nicht nur das Bewusstsein der politischen Führerin und Denkerin, sondern auch Rosas gequälte Seele.

Was nach der anspruchsvollen, anstrengenden Premiere ebenfalls klar wurde: Die neue Schauspieldirektorin Nicola Bramkamp hat ein tolles Ensemble zusammengestellt. Sophie Basse, Alois Reinhardt, Julia Keiling, Glenn Goltz, Johanna Falckner, Sören Wunderlich, Benjamin Berger und Daniel Breitfelder zeigten ihre Klasse, da ist in kurzer Zeit im Ensemble schon etwas zusammengewachsen.

"Eine deutsche Revolution. Also keine" war 1978 ein Artikel des Literaturwissenschaftlers Hans Mayer überschrieben. Er befasste sich sich mit Döblins wiederentdecktem, zwischen 1937 und 1943 im französischen und amerikanischen Exil entstandenem Erzählwerk "November 1918". "Karl und Rosa" ist der letzte Teil der Tetralogie, er bietet neben dem Revolutions-Thema Auseinandersetzungen mit dem Antigone-Stoff und Miltons "Verlorenem Paradies".

Der Satan tritt auch auf Cora Sallers Bühne auf, einer schiefen Ebene, auf der menschliche Körper schnell ins Rutschen kommen können - Richtung Nichts. Alois Reinhardt als Satan verkörpert das Charisma des Bösen manchmal wie ein intellektueller Gollum aus dem "Herrn der Ringe". Damit kontrastierend: die verzweifelte Religiosität des Lehrers und versehrten Kriegsheimkehrers Friedrich Becker (Sören Wunderlich).

Verhandelt werden auch die Beziehung eines (mutmaßlich) homophilen Lehrers zu seinem Schüler sowie die emotionalen Verstrickungen Friedrich Beckers. Benjamin Berger (Heinz), Glenn Goltz (Schuldirektor und Heinz' Vater) sowie Sören Wunderlich gestalten intensive szenische Miniaturen.

Alice Buddeberg ruft vieles, zu vieles ab: Agitprop und Kammerspiel, Politisches und Intimes, Pathos und Slapstick, Gruppenbilder und Einzelaufnahmen. Zum politischen Grundthema des Abends kommen das spannungsvolle Liebesduett zwischen Rosa und ihrem im Krieg gefallenen, herbeigefieberten Geliebten Hannes (Alois Reinhardt).

Daneben gibt es reichlich Körpereinsatz, Schauspielerinvasionen ins Parkett und theaterillusionsvernichtende Premierengags. Sie agitieren, skandieren und leitartikeln, bis sie Theorieschaum vor dem Mund haben; wühlen im Erdreich, weil alles so existenziell ist. Nach der Pause regnet es noch dazu, die Revolution (mit tätiger Unterstützung der Konterrevolution) frisst dann ihre Kinder in einer feuchten Endzeitszenerie.

Die ständig wechselnde Bühnensprache und das permanente Rollenspiel, das die Regie allen, abgesehen von Sophie Basse als Rosa, abverlangt, erlauben keine echte Nähe des Publikums zu den Figuren. Rosa zum Beispiel wird durch die Darstellung aus Innen- und Außenperspektive zwar plastisch. Ans Herz rührt ihr Schicksal, die wachsende Isolation und die als schmerzhaft empfundene Wirkungslosigkeit aber lange nicht.

Erst am Ende entsteht im Zusammenspiel zweier Verlierer, Rosas und Karls (Glenn Goltz), anrührende Intimität. Auf der langen Theaterreise in die Nacht bleiben Leerstellen und Durchhänger nicht aus, vor allem die zweite Hälfte leidet darunter. Und doch muss man Alice Buddeberg bewundern. Sie hat eine ganze Menge gewagt und einiges gewonnen, zum Beispiel das am Ende engagiert applaudierende Publikum.

Die nächsten Aufführungen: 6., 13., 19., 25. und 27. Oktober. Karten gibt es in den Bonnticket-Shops der GA-Zweigstellen.

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