Kammerspiele in Bonn Sandra Strunz inszeniert "Hiob" nach dem Roman von Joseph Roth

BONN · Hiob zum Zweiten. Kurz nach der viel gelobten Premiere von "Hiob" im Kölner Schauspiel (General-Anzeiger vom 13. Januar) nimmt sich das Bonner Theater des Stoffes an.

 Man soll sein Schicksal tragen: (von links) Daniel Breitfelder, Sophie Basse, Samuel Koch und Benjamin Berger.

Man soll sein Schicksal tragen: (von links) Daniel Breitfelder, Sophie Basse, Samuel Koch und Benjamin Berger.

Foto: Thilo Beu

Nach Rafael Sanchez im Kölner Schauspiel-Depot setzt sich nun Regisseurin Sandra Strunz mit dem 1930 erschienenen Roman von Joseph Roth auseinander. Die Dramatisierung stammt hier wie dort von Koen Tachelet, in Bonn haben Strunz und Nicola Bramkamp noch eigene Vorstellungen eingebracht.

Sabine Kohlstedt (Bühne und Kostüme) hat eine riesige, kreisrunde Stahlkonstruktion in den Kammerspielen bauen lassen. Man kann sie als Klettergerüst, Rad des Schicksals und Spinnennetz zugleich begreifen. Roman und Theaterfassung verhandeln den Lebensweg des russischen Juden Mendel Singer und seiner Familie. Die Handlung beginnt Ende des 19. Jahrhunderts im fiktiven Schtetl Zuchnow im zaristischen Russland und endet 1919, der Erste Weltkrieg ist vorbei, in New York.

Mendel ist wie der biblische Hiob ein leidgeprüfter Mann. Zwei Söhne holt der Krieg, die promiske Tochter Mirjam wird wahnsinnig, die Liebe zur Frau erkaltet, am Ende stirbt Deborah. Den behinderten Sohn Menuchim, einen Epileptiker, lässt die Familie bei der Übersiedlung nach Amerika zurück. Ärztliche Hilfe für den Sohn hatte Mendel zuvor abgelehnt, das liege in den Händen Gottes.

Die Schläge eines unbarmherzigen Schicksals strecken den frommen Lehrer Mendel Singer schließlich nieder, er fällt vom Glauben ab und ruft aus: "Gott will ich verbrennen." Es gibt jedoch ein wundersames Happy End, einen Akt der Erlösung für Mendel. Mit dem Hinweis auf die Schwere des Glücks und die Größe der Wunder endet der Roman Roths.

"Hiob" in den Kammerspielen ist ein Mixtum compositum, ein buntes Gemisch aus Sprechtheater und Choreografie (Ted Stoffer und Lisi Estaras), Nähe und Distanz, Emotion und ausgestellter Künstlichkeit. Ausbrüche wechseln mit elegischen Posen, mal tragen die Spieler Joseph Roths wunderbar musikalische Prosa vor, mal wiederholen sie zum Zweck der Stilisierung den immer gleichen Satz, mal zappeln sie wie unter Starkstrom. Und immer wieder spielt die Musik dazu.

Rainer und Karsten Süßmilch sind sensible Soundproduzenten. Das alles folgt dem Motto: Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen. Zugegeben, der knapp zweistündige Abend hat berührende Momente, aber manchmal ist er auch auf anstrengende Weise artifiziell. Das geht auf Kosten des Dramas und der Erzählung auf der Bühne. Mehr Roth, weniger Strunz hätte dem Abend gutgetan.

In Erinnerung bleiben starke Bilder. Von der Familie Singer zum Beispiel, die den von Samuel Koch verkörperten Menuchim immer wieder gemeinsam trägt, gleichsam mit ihm verschmilzt. Die Mutter (Sophie Basse) umschlingt ihn liebevoll. Aber dann gibt es auch das Theater der Grausamkeit. Jonas (Benjamin Berger) schleift den Bruder einmal umher wie einen Sack, Menuchim wird verhöhnt und erniedrigt. Man kann diese bewusst brutalen Szenen nicht betrachten, ohne die Biografie des Schauspielers Samuel Koch mitzudenken. Seit einem Unfall in einer "Wetten, dass ..?"-Sendung 2010 ist er querschnittgelähmt.

Eindruck macht auch Sophie Basses Lamento über den körperlichen Verfall ihrer Figur Deborah. Wolfgang Rüter beglaubigt anrührend die Beschränktheit und Verlorenheit des Mendel, der schließlich gegen Gott aufbegehrt. Er ist, in den Worten Joseph Roths, "ein baufälliger Mensch".

Doch kommen diese intimen Momente kaum an gegen das Dauerfeuer der Effekte. Mareike Hein muss als Mirjam wie eine rollige Katze intime Kontakte pantomimisch vorführen, da leistet die Stahlkonstruktion gute Dienste. Die Ankunft in "God's own Country" wird plakativ bebildert: Es regnet Plastiktüten vom Bühnenhimmel. Achtung, Symbol - wir sind in Amerika. Dazu rocken die Schauspieler ein bisschen los, und Mareike Hein macht die Marilyn.

Das Ensemble ist mit Feuer bei der Sache. Benjamin Berger ist ein herrlich naiver Jonas, Daniel Breitfelder der alerte, ehrgeizige Schemarjah. Benjamin Grüter hat alle Hände voll zu tun: als Mac, Arzt und Psychiater. Samuel Koch wandelt sich vom sprachlosen Opfer Menuchim zum engagierten, manchmal spöttisch-ironischen Beobachter des Familiendramas.

Er kann zwar nur "Mama" sagen, aber viel mehr mit Blicken, Geräuschen oder einem Pfeifen ausdrücken. Der Schluss in den Kammerspielen ist packend inszeniert und gespielt. Erst Mendels Verzweiflung, dann Menuchims großer Auftritt. Samuel Koch erscheint im Smoking, als Verkörperung des von der Krankheit geheilten, erfolgreichen Komponisten und Dirigenten. Was Koch in diesem Augenblick ausstrahlt: Würde und Kraft.

Auf einen Blick

  • Das Stück: Es ergänzt, aber ersetzt die Lektüre des fabelhaften Romans von 1930 nicht.
  • Die Inszenierung: Sie spricht gewissermaßen mehrere Sprachen gleichzeitig, das ist mal beglückend, mal beschwerlich.
  • Die Schauspieler: Stark in den intimen Momenten, zu allem bereit in den durchchoreografierten Szenen.

Info

Die nächsten Aufführungen: 8., 11. und 22. Februar; 4., 14., 20. und 26. März. Karten gibt es in den Bonnticket-Shops der GA-Geschäftsstellen.

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