Christina Végh Quasi eine Verabschiedung

BONN · Was von Christina Végh bleiben wird - außer einer imposanten Reihe ausgezeichneter Ausstellungen, die sie in den letzten zehn Jahren im Bonner Kunstverein gezeigt hat -, brachte Stephan Berg auf das Wörtchen "Quasi", Véghs Lieblingswort.

 Blumen für die Direktorinnen: Christina Végh (links) geht, Michelle Cotton kommt im März.

Blumen für die Direktorinnen: Christina Végh (links) geht, Michelle Cotton kommt im März.

Foto: Fischer

Bei der feierlichen Verabschiedung der Direktorin mit viel Kultur-Prominenz am Donnerstagabend im Kunstverein widmete Berg in seiner Rede dem von der Schweizerin so "herrlich gaumig und voluminös" ausgesprochenen Wort, das "wie eine schillernde Blase im Raum steht", einigen Platz. "Quasi", was übersetzt "eigentlich, aber mit relativer Sicherheit" bedeutet, außerdem "fast, so gut wie und annähernd" meine, lasse sich, so der Chef des Kunstmuseums, nicht nur auf die Kunst generell münzen, sondern auch auf diese Stadt, zu der jeder "eine Stadt wie Bonn" sage.

Végh und ihn verbinde nicht nur der Blick von außen - "diese Stadt ist nicht so leicht zu lesen, wie man sich das vorstellt" -, Berg machte auch auf eine eigenartige Hannover-Connection aufmerksam: Sein Vorgänger Dieter Ronte war vom Sprengel Museum nach Bonn gekommen, Berg selbst vom Kunstverein Hannover, und Christina Végh geht nun zur Kestnergesellschaft in der niedersächsischen Landeshauptstadt. "In Hannover hat die bildende Kunst eine andere Wertigkeit als in einer Stadt wie Bonn", gab Berg ihr mit auf den Weg.

Christina Véghs Arbeit als Ausstellungsmacherin und Programmgestalterin wurde an diesem Abend ebenso breit gewürdigt wie der umfassende Umbau und die Neuausrichtung des Kunstvereins, die am Beginn von Véghs Amtszeit lagen. Henning Boecker, Erster Vorsitzender des Vereins, hob in seiner Rede Véghs "weit über Bonn hinaus rezipiertes hochkarätiges Programm" und das von der Direktorin konzipierte und gestaltete Jubiläumsjahr 2013 heraus, "das sie zu einem wunderbaren Ereignis gemacht hat".

Stellvertretend für die vielen Künstler, denen der Kunstverein ein Forum gegeben hat, dankte Christoph Westermeier, Peter-Mertes-Stipendiat des Jahres 2010, Christina Végh für das Vertrauen, und dass sie immer den Kontakt gehalten habe: "Junge Künstler müssen laufen lernen, sie hat dabei geholfen."

Tief in die Vergangenheit ging Bundeskunsthallenchef Rein Wolfs in seiner launigen Rede: Vor 18 Jahren habe er Christina Végh in Zürich kennengelernt - sie führte damals als Studentin durch ein von Wolfs präsentiertes Ausstellungsprojekt - und seitdem mit Freude ihren Werdegang beobachtet. In Bonn habe man sich nun wieder getroffen, dieses Mal auf gleicher Augenhöhe - "die Kulturarbeit verbindet uns". Und was die nächste Station in Hannover angeht: "Du stehst bei mir unter schärfster Beobachtung."

Die so stark Gelobte und Beobachtete dankte schwer gerührt mit einer originellen Rede, bei der die Ausstellungstitel ihrer Direktorinnenzeit den roten Faden bildeten. Christina Végh zog eine Bilanz ihrer Arbeit in diesem "Forum für geistige Höhenflüge", sang das Loblied auf die einzigartige Kunstgemeinschaft im Rheinland und vergaß nicht die vielen ehrenamtlichen Kräfte, ohne die diese Höhenflüge nicht möglich wären.

Als Überraschung des Abends, an dem viel über Vergangenes gesprochen und zu Recht die glänzende Ära Végh gefeiert wurde, stand etwas abseits die Zukunft in Gestalt von Michelle Cotton. Sie folgte der Verabschiedung ihrer Vorgängerin mit konzentriertem, ernstem Blick, bevor Boecker sie ans Mikrofon holte. Cotten entschuldigte sich dafür, dass sie kaum Deutsch könne, und hielt sich zurück: "Das hier ist Christinas Abend."

Die Freude am Risiko

Was eine Chefkuratorin an einem Museum in Essex, eine Autostunde von London entfernt, dazu bewegt, in finanziell prekären Zeiten bei einem Kunstverein in Nordrhein-Westfalen anzuheuern? Diese Frage wird Michelle Cotton wohl in Zukunft noch öfters gestellt bekommen. Die neue Direktorin des Bonner Kunstvereins nennt ihre Gründe: Sie reizt nicht nur das Risiko, "the element of risk", das Unabgesicherte, sie findet es auch spannend, von einem Land, in dem die Kunst stark auf London fokussiert ist, in ein Land wie Deutschland zu gehen, wo es viele heterogene Zentren gibt.

"Das Rheinland ist wunderbar für den Kulturfan, da gibt es so viele Möglichkeiten", sagt die 37-jährige Britin. Was sie sonst reizt? Sie will Chefin sein, eine Institution prägen, sie zu einem "kulturellen Generator" machen. Als Michelle Cotton vor wenigen Tagen zum Vorstellungstermin anreiste, war das ihr erster Kontakt mit Bonn. Köln und Berlin kennt sie besser, sie liebt die Kurzfilmtage Oberhausen, das Kölner Museum Ludwig und die Art Cologne.

Konkrete Pläne für Bonn hat sie noch nicht, außer, fleißig Deutsch zu lernen. Was sie interessiert? Auf keinen Fall "Art by art", Kunst um der Kunst willen. Cotton will bei der Konzeption des Programms ihren breiten Hintergrund aus Literatur, Musik und Film einbringen. Als eines ihrer Vorbilder nennt sie Annelie Pohlen, langjährige Direktorin des Bonner Kunstvereins, und deren Verständnis einer Institution als Labor und Plattform für junge Kunst.

In diesem Umfeld lassen sich, so Michelle Cotton, Künstler entdecken. Seit einigen Jahren interessiert sich Michelle Cotton auch verstärkt für die Wissenschaft. Angetan hat es ihr etwa der 1971 gestorbene John Desmond Bernal, Physiker mit Schwerpunkt Kristallographie. Beginnend mit der mit ihm befreundeten Bildhauerin Barbara Hepworth haben sich viele Künstler mit der Kristallographie befasst. Gerade in der Wissenschaftsstadt Bonn ein Programm über die Beziehungen von Kunst und Wissenschaft zu machen, reizt Cotton.

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