Theater Bonn Premiere: "Chronik eines torkelnden Planeten" in der Werkstatt

VON ELIS · Das alte Volkslied "Kein schöner Land in dieser Zeit" geistert als eine Art Leitmotiv durch den neuen Wengenroth-Abend in der Werkstatt des Bonner Schauspiels.

Mit fast drei Stunden Spieldauer (inklusive Pause) erreicht die "Chronik eines torkelnden Planeten" zwar fast schon Wagner-Länge, erscheint aber zeitweise recht kurzweilig. Es ist eine Revue, die ungefähr das letzte Jahrhundert mit seinen zwei Weltkriegen umfasst, sich jedoch geografisch weitgehend auf Deutschland konzentriert. Die angekündigte "Endzeit" unseres Planeten wird also noch ein wenig hinausgeschoben.

Zur Götterdämmerung reicht auch ein putziges Teufelchen aus dem gelegentlich unter Sturmgebraus und Nebelschwaden geöffneten Backofen. Auch Reden der amtierenden Bundeskanzlerin leisten gute Dienste in der Text-Collage, die Autor und Regisseur Patrick Wengenroth gemeinsam mit fünf Mitgliedern des Schauspiel-Ensembles zusammengebastelt hat.

Leicht verballhornt prangt über der Bühne von Mascha Mazur (auch verantwortlich für die Kostüme) der Spruch "Dem deutschem Volker", dessen korrekte, grammatisch subjektfreie Version seit knapp 100 Jahren das Berliner Reichstagsgebäude ziert. Ein riesiger Kleiderhaufen bedeckt den Boden, was für allerhand lustige bergsteigerische Rutschpartien sorgt.

Die naheliegende Auschwitz-Assoziation nimmt Lydia Stäubli in ihrem charmanten Prolog schon vorweg: Sie werden sich furchtlos in Tabu-Zonen stürzen, parodistisch dem bitteren Ernst der Geschichte trotzen und schamlos albern dem Nibelungen-Spielmann Volker die germanischen Mythen um die Ohren hauen. Deutsches Liedgut von Udo Jürgens bis André Heller hat Musiker Johannes Mittl dafür mitgebracht, der den aberwitzigen Showtrash am Piano einigermaßen auf Kurs hält.

Unbehost, dafür jedoch mit Pickelhaube und viel Ordensmetall am blauen Uniformrock, spielt der junge Samuel Braun Horváths "Ein Kind unserer Zeit", an Geist und Körper versehrt dem Ersten Weltkrieg entronnen und als Schneemann verendet. Er ist die durchgängige Schlüsselfigur und hat echt berührende Momente im Getümmel der Vergangenheits-Gespenster.

In brauner Uniform stiefelt Ursula Grossenbacher durch die Szenerie, liefert Bier für durstige Soldatenkehlen, singt fabelhaft und hat als geistreiche Domina Hannah Arendt einen fulminanten Auftritt.

Als trauriger Clown ist Glenn Goltz unschlagbar, darf aber auch mal hübsch locker über Sex plaudern. Angela und Ulrike in trauter Eintracht - macht jetzt auch nichts mehr. Zumal derweil Ali (Andrej Kaminsiki als Geschöpf von Günter Wallraff) mit schwarzer Perücke "ganz unten" um die eine katholische Taufe zwecks Aufenthaltsgenehmigung im gelobten Land fleht. Oder eine nahrhafte Suppe kocht, die das Publikum in der Pause verkosten kann. Lydia Stäubli darf sich als Schweizerin outen und als Lazarett-Engel mit amputierten Gliedmaßen hantieren.

Alle liefern brav ihre Nummern ab im poppig pseudoprovokativen Rückblick auf den Zeitgeist einer unseligen Epoche. Tapfer angelehnt an die literarische Technik von Karl Kraus? "Letzten Tagen der Menschheit" auf der unterirdischen Lumpenspur des 20. Jahrhunderts, hübsch torkelnd zwischen Katastrophen-Visionen und utopischer Friedfertigkeit.

Spielerisch beweglich und streckenweise sogar bewegend. Man kann auch lachen über die Lächerlichkeit der angestrengten Rettungsversuche an Deck eines sinkenden Dampfers. Freundlicher Beifall bei der nicht ganz ausverkauften Premiere, die ein paar ermüdete Zuschauer schon in der Pause fluchtartig verließen.

Info

Nächste Vorstellungen: 18. und 24. Februar. Karten in den Bonnticket-Shops der GA-Zweigstellen.

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