Ein Klavier für alles Pierre-Laurent Aimard ist auf Bach-Tournee

Bonn · Achtzehn Jahre als Solopianist in Pierre Boulez' Ensemble Contemporain gehen an einen Künstler Musiker nicht ganz spurlos vorbei. Mit dem Namen Pierre-Laurent Aimard verbindet man gern Interpretationen von neuer und neuester Musik auf dem allerhöchsten Niveau.

 Bach-Bewunderer: Pierre-Laurent Aimard.

Bach-Bewunderer: Pierre-Laurent Aimard.

Längst aber hat der Pianist gezeigt, dass er auch ein gewichtiges Wort mitzureden hat, wenn es um Mozart, Beethoven und Debussy geht. Oder um Johann Sebastian Bach.

Die Musik des Thomaskantors war in den vergangenen Monaten sozusagen sein täglich Brot. Bei einem Treffen in einem Café ganz in der Nähe der Kölner Musikhochschule, wo er als Klavierprofessor den studentischen Nachwuchs unterrichtet, erzählt Aimard, von seinem siebenmonatigen Sabbatical, von intensiven Gesprächen in dieser Zeit während eines Wissenschaftskollegs in Berlin und von den Aufnahmen zum ersten Teil von Bachs Wohltemperiertem Klavier, die am 15. August bei der Deutschen Grammophon erscheinen werden.

"In dieser Zeit hat mir die Musik die Zeit diktiert", sagt er über das Sabbatical. Jetzt hat wieder der Terminkalender die Herrschaft übernommen. Aimard geht mit den 24 Präludien und Fugen des

Bach'schen Kompendiums auf Tournee. 34 Mal wird er den ersten Teil des Wohltemperierten Klaviers am Ende der Reise, die ihn durch 15 Länder und vier Kontinente führen wird, gespielt haben. Beim Rheingau Musikfestival und in Salzburg war er schon, die Kölner Philharmonie folgt am 11. September.

Für Aimard ist das Wohltemperierte Klavier nach der Kunst der Fuge das zweite große Bach-Projekt. "Die Thematik ist in den beiden Zyklen ganz verschieden", sagt er. Anders als in der Kunst der Fuge habe man es im Wohltemperierten Klavier nicht nur mit einer einzigen Tonart zu tun, sondern mit "allen möglichen", und das meint er natürlich ganz wörtlich. Man erlebe Bach als einen Kämpfer, der um die damals neue Realität der temperierten Stimmung ringe. "Bach hat sich für das Abenteuer entschieden", sagt Aimard.

Für die Aufnahmen wählte Aimard bewusst einen modernen Flügel. Dafür nennt er zwei Gründe. In großen, modernen Konzertsälen seien die Tasteninstrumente der Bach-Zeit akustisch sehr problematisch. Wichtiger aber erscheint ihm ein der andere Aspekt. "Bach hat in den Präludien und Fugen im Grunde für verschiedene Instrumente komponiert", sagt er. "Manche sind eigentlich gar nicht als Musik für ein Tasteninstrument gedacht, sondern für Chor oder als Arie. Aber wie spielt man das? Ich kann ja nicht auf Tournee gehen mit all den Instrumenten, mit einem Clavichord, mit einem Chor, mit einer Sängerin für das arienhafte e-Moll-Präludium. "Am Ende konnte der Architekt Bach alle unterschiedlichen Stile und Formen in eine riesige Konstruktion integrieren."

Um die von Bach mitgedachte klangliche Vielfalt darzustellen, könne das moderne Klavier als "Synthese-Instrument" eine wichtige Rolle spielen. Dazu muss es freilich Aimards sehr präzisen Klangvorstellungen genügen. Ein romantisch klingendes Instrument könne er da nicht gebrauchen. Es müsse die Artikulation, die Klarheit der Rhetorik und die Polyphonie darstellen können. Um das zu erreichen, arbeitet Aimard eng mit seinem Klaviertechniker zusammen. "Es ist ganz normal, dass man sich für das Instrument interessiert und mit den Menschen, die sich darum kümmern, einen intensiven Kontakt pflegt. Das ist so wie bei einem Formel-1-Piloten und seinen Technikern."

Natürlich ist er nicht der erste, der Bachs Musik für Tasteninstrumente auf einem modernen Klavier spielt. Das kristallklare Spiel Glenn Goulds oder das romantische eines Svjatoslav Richter haben Generationen von Musikern und Hörern geprägt. Auf die Frage, in welcher Tradition er sich selbst sieht, antwortet Aimard knapp: "In keiner." Und sagt zur Begründung ganz lapidar: "Wir leben im Jahr 2014." Man würde ja heute auch ein Shakespeare-Drama anders inszenieren als vor hundert Jahren, "weil die Welt sich ändert und die Menschen in ihr sich ändern". Das ist auch einer von vielen Gründen, weshalb sich Aimard trotz aller Ausflüge in die musikalische Vergangenheit immer in der Gegenwart und in der Musik des 20. und 21. Jahrhunderts verankert bleiben wird. "Wir dürfen ein Jahrhundert Musik nicht ignorieren."

Pierre-Laurent Aimard gastiert am 11. September mit Bachs Wohltemperierten Klavier Teil 1 in der Kölner Philharmonie. Karten in den Bonnticket-Shops der GA-Zweigstellen.

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