Bonn im Roman Ode an die rheinische Bescheidenheit

Bonn · Mit Wehmut beobachten Politikberater Gregor Korff und Verfassungsschützer Leo Münks den Untergang der Bonner Republik. Dabei hatten es sich die beiden früheren 68er so bequem eingerichtet im Establishment und in einem angenehmen Leben, und nun kommt 1989 alles anders.

 Jochen Schimmangs Romanfigur Gregor Korff wohnt in der Bonner Südstadt.

Jochen Schimmangs Romanfigur Gregor Korff wohnt in der Bonner Südstadt.

Foto: Horst Müller

Ironisch distanziert gelingt es ihnen zwar, die politischen Veränderungen und deren absehbare Folgen nachzuvollziehen. Und dennoch gerät beider Leben aus der Bahn.

Schon der Buchtitel "Das Beste, was wir hatten" lässt keinen Zweifel daran, dass Jochen Schimmang den Untergang der Bonner Republik betrauert, die für ihn als Sinnbild für Vernunft und Bescheidenheit steht. Zugleich zeichnet der 1948 im ostfriesischen Leer geborene Schimmang ein Sittenbild der Bundespolitik und ihrer Protagonisten, liefert einen der raren Wende-Romane aus westdeutscher Perspektive - und jede Menge Labsal für die Bonner Seele.

Das war das Rheinland im Winter

Den letzten Jahreswechsel der 80er Jahre verbringt Gregor Korff allein in seinem Wochenendhäuschen im Siebengebirge über Königswinter. "Das war das Rheinland im Winter, und Gregor liebte es, weil es so vernünftig war, so wenig extrem, so gemäßigt." Während unter ihm die Feuerwerkskörper explodieren. Er erinnert sich an seine Jugend, in der er mit Freund Nott, inzwischen Anwalt, in einem geheimen Versteck Samuel Beckett vergöttert und erste sexuelle Erfahrungen mit den Fuchs-Schwestern sammelt.

Sein Politikstudium führt Korff 1968 - wie den Autor Schimmang selbst - nach Berlin, wo kein Wehrdienst droht. Er wird Mitglied in einer linken K-Gruppe, entdeckt zugleich den Staatsphilosophen Carl Schmitt, den Kronjuristen des Dritten Reichs, als Lebensthema. Eine widersprüchliche Hassliebe, die Gregor mit ernüchterten Alt-68ern teilt.

In der K-Gruppe und beim Fußball stößt Korff auf Genossen, die wie Jugendfreund Nott immer wieder seinen Lebensweg kreuzen, bevorzugt in den späten 80er Jahren im Rheinland: Leo Münks, der als Verfassungsschützer die Seiten wechselt und nach Köln zieht. Carl Schelling, der im Kölner Stadtarchiv unterschlüpft und einen Anschlag auf das Niederwald-Denkmal oberhalb von Rüdesheim plant. Oder den späteren Philosophieprofessor Uli Goergen, der schon beim Kicken die ironische Distanz kultiviert, die sich später alle Freunde als Geisteshaltung zu eigen machen. Während die Lebenswege von Korff, Münks und ihren Freunden über lange Phasen geprägt von Zufällen sind, hat Schimmang seinen Roman mit Bedacht konstruiert. Es wimmelt nur so von Zitaten, Reminiszenzen und Bezügen. Immer wieder tauchen Bezüge zu Schimmangs Biografie auf, die sich an denselben Orten abspielte wie die seiner Hauptfiguren. Damit nicht genug.

Auch die Bezüge zwischen Politikberater Korff und Carl Schmitt, seinem Forschungsobjekt seit Studientagen, liegen auf der Hand - bis hin zu den betrügerischen Frauen in beider Leben. Während Schmitt auf eine serbische Hochstaplerin, die vermeintliche Gräfin Pawla Dorotic, hereingefallen ist, verliert Korff wegen Stasiagentin Sonja seinen Job, seine Wohnung, seine ganze Existenz. Vergleichsweise unschädlich verläuft dagegen Gregor Korffs Liaison mit Anita, der Frau seines besten Freundes Leo Münks, die deren Freundschaft nicht beschädigt.

Komfortables Leben im Dunstkreis der Macht

Durch Sonjas Verschwinden wird Korff für seinen unschwer als Rudolf Seiters zu enttarnenden Minister politisch untragbar, doch menschlich hängt dieser an seinem Berater, den er acht Jahre zuvor bei einem Vortrag vor der Adenauer-Stiftung in Sankt Augustin zufällig für sich entdeckt und ihm ein komfortables Leben im Dunstkreis der Macht ermöglicht hat.

Mit Reisen, Rotwein, gutem Essen und Zigarren, mit einer Wohnung in der Bonner Südstadt, regelmäßigen Besuchen bei Maternus oder in der Lese, im Grunert's oder in der Schumannklause, an den Fleischtöpfen und in den Tränken der Bonner Republik. Da macht die Spurensuche Spaß. Auch was die Mitglieder der Politikszene angeht: Peter Glotz, für Korff ein beliebter Gesprächspartner während langer, alkoholschwangerer Essen im Unkeler Rheinhotel Schulz, wird namentlich genannt.

Korffs Nachfolger Jerschel erscheint als wenig schmeichelhafte Charakterstudie Michael Stürmers, der abgehalfterte Autor Peter Schuster trägt Züge von Peter Schneider. Ansonsten illustriert auch das sportliche Personal den Zeitgeist jener Jahre: Von Berti Vogts und seinen Mannen bis zu Boris Beckers legendärem Wimbledon-Sieg, der Korff erstmals das Wort "Nation" denken lässt. Ein Vorgeschmack auf neue Stärke und die Berliner Republik.

Der Abgesang auf die "blühenden Provisorien" am Rhein lässt ahnen, dass mit der Wende nicht nur die DDR verschwinden wird, sondern auch die von Korff so geschätzte Bundesrepublik mit ihren Tugenden Bescheidenheit und Vernunft. Während um sie herum ihre geistige Heimat zerbricht und sich eine großsprecherische Wir-sind-wieder-wer-Mentalität breitmacht, erleben die Freunde einen zweiten Frühling. Schelling wandert für seine Pläne dem Nationalismus zu trotzen, in dem er die Germania am Niederwald sprengt, ins Gefängnis. Schnell ist allen klar, dass er das nicht überstehen wird.

Was war es nun, "Das Beste, was wir hatten"? Nach dem Untergang seiner geistigen Heimat, der der Bonner Republik, findet Korff zurück zu den Anfängen, als er auf ein junges Paar trifft, das sich in einem Versteck verbarrikadiert hat. Außenseiter wie Nott und er. Und die beiden Helden aus Gustave Flauberts letztem Roman "Die Erziehung des Herzens", aus dem Schimmangs Romantitel entlehnt ist. Darin erinnern sich zwei resignierte Männer an einen gescheiterten Bordellbesuch ihrer Jugend. Das Schönste, was sie hatten.

Jochen Schimmang: Das Beste, was wir hatten. Edition Nautilus, 320 Seiten, 22 Euro. Die GA-Serie "Bonn im Roman" endet am Mittwoch mit Akif Pirinçcis "Felidae".

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