Theater Werkstatt Bonn Nolte Decars Groteske "Der Volkshai": Der grelle Herrscher von Rimini

BONN · Der Jäger wird zum Gejagten und damit zugleich zum Jagenden, zum Raubtier, das sich für Lüge und Wahrheit letztlich nicht interessiert: Metaphorisch bis an die Oberkante aufgeladen hat die Uraufführung von Nolte Decars neuestem Werk "Der Volkshai" in der Theater Werkstatt Bonn seine vom Publikum bejubelte Premiere gefeiert.

 Gelockter Öko: Robert Höller in der Rolle des Dino in Nolte Decars "Der Volkshai".

Gelockter Öko: Robert Höller in der Rolle des Dino in Nolte Decars "Der Volkshai".

Foto: Thilo Beu

Das auf Motiven aus Ibsens "Ein Volksfeind" und Spielbergs "Der weiße Hai" beruhende, im Laufe der Proben zusammen mit Regisseur Matthias Rippert und den Schauspielern entwickelte Stück zeigt sich, typisch für das in Bonn durch "Helmut Kohl läuft durch Bonn" bekannt gewordene Autorenduo, als wilde Groteske - und leidet zugleich trotz guter, zum Teil gar herausragender Darsteller an dem inzwischen leider üblichen Hang zur Übertreibung mit den Überzeichnungen.

Da wird die Komik dem Zuschauer mit Gewalt in den Rachen gestopft, das Lachen mit immer größeren Ködern hervorgelockt, immer wieder erfolgreich, aber irgendwann auch ermüdend. Dabei treten letztlich sowohl Charakterentwicklung als auch Handlung weitgehend auf der Stelle. Mit einer Ausnahme.

Es ist bezeichnend, dass der wahre Held des Abends - zumindest aus schauspielerischer Sicht - nicht etwa die Bademeisterin und Haijägerin Giulia (Anne Kubatzki) ist, sondern der die Bestie leugnende Bürgermeister Umberto. Sören Wunderlich, der kurzfristig für den erkrankten Bernd Braun einsprang, liefert in dieser Rolle eine Meisterleistung ab: Grell, aber charismatisch, vielschichtig und dynamisch ist seine Figur wahrlich der Herrscher von Rimini, dem italienischen Badeort, der sich durch die Fußball-WM 1990 einen touristischen Aufschwung erhofft.

Eine Sperrung der Strände wegen eines angeblich gesichteten Hais wäre da kontraproduktiv, für Umberto aber mehr als das: Es wäre die Zerstörung all dessen, wofür er sein Leben lang gelogen und betrogen hat. So wird Giulia, die als einzige die Menschen schützen möchte, zum Volksfeind deklariert, zur Hexe, zum Dorn in Umbertos Fuß. "Diese Stadt ist alles, was ich habe", ruft dieser irgendwann - und erhält durch Wunderlich einen derart verzweifelten Unterton, dass man ihm fast schon sein perfides Handeln verzeiht.

Die Rollen der anderen bleiben dagegen hinter ihren Möglichkeiten zurück: Der zwischen Ehre und Gier gefangene Journalist Cesare Manzini (Hajo Tuschy) scheint zwar zunächst ein prächtiger Gegenspieler Umbertos zu sein, entwickelt sich aber schnell zu dessen Stiefellecker, zu einem Echo ohne Substanz.

So viel verschenktes Potenzial, zumal Tuschy den hin und hergerissenen Schreiberling mit viel Verve spielt. Noch kurioser ist die Figur des Dino (Robert Höller), diesem Triton-gelockten Öko, der in seiner Beziehung mit Giulia zunehmend unglücklich ist, damit die eigentliche Hai-Handlung aber nur bedingt und sehr gekünstelt vorantreibt.

Bleibt Giulia selbst, eigentlich die Protagonistin des Stücks, die vom blonden Baywatch-Dummchen zum Männer mordenden Raubtier mutiert. Eigentlich eine reizvolle und letztlich zentrale Entwicklung, die aber nicht konsequent erklärt und dargestellt wird. Damit wird leider eine große Chance vertan: Es fehlt schlichtweg die Stringenz, der Fokus, um den "Volkshai" über den Status einer zum Teil brillant gespielten, unterhaltsamen Posse hinauswachsen zu lassen. Dabei hätte das sowohl Nolte Decar als auch dem Schauspiel Bonn durchaus gut getan.

Info

Weitere Vorstellungen: 30.1., 10.2., 11.2., 22.2., 13.3., 30.3., jeweils um 20 Uhr in der Theater Werkstatt. Karten in allen GA-Ticketshops.

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