Bundeskunsthalle Mythen, Masken und Dämonen

BONN · Die Bundeskunsthalle in Bonn zeigt eine spektakuläre Ausstellung mit Meistern der Elfenbeinküste ab 28. Juni 2014. "Afrikanische Meister, Kunst der Elfenbeinküste", so lautet der Name der Sammlung.

 Helm-Maske eines unbekannten Meisters der Korhogo-Region, 1930.

Helm-Maske eines unbekannten Meisters der Korhogo-Region, 1930.

Foto: MUSEUM

Der Mensch mag nicht ohne schöne Dinge leben." Dieser Satz, der im designverwöhnten Westeuropa und den USA als platte Binsenweisheit daherkommt, ließ in Westafrika aufhorchen. Denn der, der ihn in den 30er Jahren gegenüber dem Ethnologen Hans Himmelheber aussprach, ein einfacher Weber, stellte ein Urteil über die afrikanische Kunst auf den Kopf.

Sie sei ausschließlich ritueller Natur, habe stets mit Ahnenkult und dergleichen zu tun, so die landläufige Meinung. Der Weber aber erfreute sich an einem aufwendig geschnitzten Webrollenhalter, ein kleines, völlig sinnfreies Kunstwerk. L'art pour l'art auch in Afrika. Eine weitere Überraschung steuert eine Ausstellung in der Bonner Bundeskunsthalle bei, die am Donnerstagabend eröffnet wurde.

Unter dem Titel "Afrikanische Meister. Kunst der Elfenbeinküste" wird in Kooperation mit dem Museum Rietberg in Zürich erstmals versucht, auf breiter Front Künstlerpersönlichkeiten Westafrikas aus der Anonymität zu reißen und das vielseitige Profil einer Region zu zeichnen, die zwischen Liberia, Guinea, Mali, Burkina Faso und Ghana am Atlantik liegt.

Wenige Namen sind bekannt: Tame (um 1900 bis 1965) etwa, in seiner Jugend ein Ringkämpfer und Frauenheld, brachte es in der westlichen Dan-Region zu einem exzellenten Masken-Oeuvre; Si (um 1900 bis um 1980), der in seinem Dorf Nyor Diaple als zauberkundiger Jäger galt, schuf Holzfiguren mit grimmig heruntergezogenen Mundwinkeln und Aluminiumzähnen; weitere namentlich bekannte, hervorragende Meister heißen Sra und Tompieme, Son und Dyeponyo, der originellste Bildhauer der Bonner Ausstellung.

Seine Masken mit den charakteristischen, hervorstehenden Röhrenaugen, aufgeblähten Nasenflügeln und einer zerklüfteten, expressiven Physiognomie verraten eine interessante Künstlerpersönlichkeit. Ein sinnlicher, leicht geöffneter Mund kontrastiert mit dem eher derben Rest des Gesichts. Man kann sich vorstellen, wie die französischen Kubisten, wie Picasso, Matisse und die Brücke-Maler auf diese Kunst reagierten, als sie sie erstmals in Pariser oder Berliner Galerien sahen.

Maurice de Vlaminck, ein von Van Gogh und Cézanne geprägter fauvistischer Maler, sammelte schon seit 1906 afrikanische Plastik, brachte seine Kollegen in der Pariser Szene mit dieser außerordentlichen Kunst in Berührung. In de Vlamincks Sammlung befand sich eine hinreißende sitzende Figur aus der Baule-Region, um 1900. Der Kunsthistoriker, Sammler und ehemalige Sotheby's-Chef für

Stammeskunst Bernard de Grunne nahm diese Skulptur zum Anlass, einen "Vlaminck-Meister" zu kreieren und Skulpturen zu suchen, die von ihm stammen könnten. Neben der Vorstellung in Expertenkreisen namentlich bekannter westafrikanischer Künstler unternahmen nun Forscher für die Bonner Ausstellung (die weiter in die Nieuwe Kerk Amsterdam und das Musée du Quay Branly Paris reist) alle Anstrengungen, aus dem großen internationalen Fundus individuelle Bildhauerpersönlichkeiten herauszuarbeiten und mit einem Notnamen zu belegen.

In der mittelalterlichen Forschung ist das seit Jahrhunderten üblich: Es gibt etwa den Meister der Kölner Ursulalegende oder den in Utrecht und Köln tätigen, herausragenden Meister des Bartholomäusaltars.

In Bonn sind nun skurrile Figuren wie die des "Meisters der Sonnenschirme" zu sehen, blockhafte, schwergliedrige Wesen. Da ist der ivorische "Meister der schönen Brüste", dessen Figuren insbesondere in der Profilansicht seinem Namen alle Ehre machen.

Und der "Meister der Schaufelhände", dessen Wesen einen schlanken, gebogenen Leib haben, ein stark gelängtes Gesicht und mitunter eine raupenförmige Irokesenfrisur tragen, ansonsten über schaufelartige Hände verfügen. Es lohnt sich, auf kleinste Details wie Frisur, Accessoires und Schmucknarben zu achten, aggressiv aufgerissene Augen bei den Männergestalten, sinnlicher Mund und Schlafzimmerblick mit halb geschlossenen Augen bei den Frauen.

Einzelne Figuren und Masken werden durch Strahler effektvoll aus dem Schummerlicht gerissen. Es gibt Masken, die eine Bedeutung im Ahnenkult haben, und solche, die "getanzt" werden. Kleine Filme in der Ausstellung zeigen Tänze, bei denen Masken zum Einsatz kamen.

Es gibt Figuren, die Manifestationen eines Hilfsgeistes sind, den Besitzer unterstützen und lästige Dämonen fernhalten sollen. Manche Statuetten erinnern an große Persönlichkeiten, andere werden als Stellvertreter für verblichene Ahnen geschnitzt, die den Lebenden im Traum bedrängen. Wahrsager und Heiler arbeiten mit derlei Substitutionsfiguren. Man wüsste gerne mehr über Mythen und Riten, mit denen die 200 Arbeiten von mehr als 40 Künstlern aus den vergangenen 200 Jahren verknüpft sind.

So gründlich die Macher der herausragenden und sicherlich einzigartigen Schau ihre Meister identifizierten und Werkgruppen stilkritisch arrondierten und archaisch anmutende Herstellungstechniken dokumentieren, so nachlässig verfuhr man bei den Inhalten und Hintergründen. Eine vertane Chance.

Details zur Ausstellung Kunst und Jazz
Die Ausstellung in der Bundeskunsthalle läuft vom 28. Juni bis 5. Oktober. Geöffnet Di, Mi 10 bis 21 Uhr, Do bis So 10 bis19 Uhr. Katalog (Scheidegger & Spiess): 35 Euro. Rahmenprogramm: Erster Höhepunkt ist das Konzert des Bundesjazzorchesters mit afrikanischen Gästen am 3. Juli, 20 Uhr, im Forum der Bundeskunsthalle.

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