Beethovenhalle Kristjan Järvi begeistert mit dem Baltic Sea Youth Philharmonic Orchestra

Wenn es denn beim Beethovenfest einen Preis für das aufregendste und anregendste, unterhaltsamste und kurzweiligste, spannendste und originellste Konzertprogramm gäbe - das Baltic Sea Youth Philharmonic und sein Dirigent Kristjan Järvi wären heiße Anwärter auf eine solche Auszeichnung.

Mühelos spannten sie in der Beethovenhalle den Bogen von Griegs hochromantischem Klavierkonzert zu orchestralen Ausflügen in die Bereiche von Rock, Jazz und Pop, von brutalen Klanggewittern in Mussorgskis "Nacht auf dem kahlen Berge" zu folkloristischen Impressionen in der Karelia-Suite von Jean Sibelius. Das Publikum war total aus dem Häuschen.

Natürlich hat ein solch überrumpelnder Abend viel mit dem Dirigenten Kristjan Järvi zu tun, dem Jüngsten aus der Järvi-Dirigentendynastie. Kristjan Järvi kennt keine Berührungsängste mit Musik, die die Grenzen von "unterhaltend" und "ernst" hinwegwischt - er ist ein überzeugter musikalischer Grenzgänger und am Pult ein wahrer Verzauberungskünstler. Manchmal wirkt er wie ein Bandleader, die New York Times hat ihn mit all seinem Bewegungsdrang als "Wiedergeburt von Leonard Bernstein" bezeichnet. Da ist schon was dran.

Järvi hat mit dem Baltic Sea Youth Philharmonic auf jeden Fall das richtige erstklassige Ensemble vor sich: um die hundert junge Musiker aus den Staaten rund um die Ostsee, die eine Energie vermitteln, die ansteckend wirkt. Das Orchester, das sich auf den großen Klang ebenso versteht wie auf frappierende Pianokunst, überfällt seine Zuhörer mit einer unbändigen Spiellaune; in dem kurzen und intensiven, poppig angehauchten Stück "Never Ignore the Cosmic Ocean" des jungen Litauers Gediminas Gelgotas betätigen sich die Musiker als Rapper (Textprobe: "Identität gewinnst du nicht, wenn du auf andere schaust"), die Konzertmeisterin hat einen musikalisch anspruchsvollen, szenisch durchaus erotisch aufgeladenen Kurzauftritt.

Diese jungen Wilden von der Ostsee spielten zum Finale den ersten Satz aus der 4. Sinfonie ("Rock Symphony") des hierzulande leider ziemlich unbekannten lettischen Komponisten Imants Kalnins. Das Stück entstand 1972, zu einer Zeit, als die Sowjetherrschaft mit Rock wenig anzufangen wusste; es ist Musik gewordener Widerstand und so etwas wie ein Bolero auf Lettisch, mit reichlich Schlagzeug bestückt.

Zwischendrin hatte ein anderer junger Künstler das Sagen, der polnisch-kanadische Pianist Jan Lisiecki, mit seinen 19 Jahren einer der "shooting stars" des Klassikbetriebs. Zu hören war Edvard Griegs hoch in der Publikumsgunst stehendes a-Moll-Klavierkonzert, dem Lisiecki jede salonmäßige Gefühligkeit nahm: eine Interpretation voller Klarheit und Kraft, mit durchdachten Tempowechseln und einer Anschlagskunst, die auch kleinsten Phrasen noch überraschende Kontur gab.

An Zugaben war kein Mangel. Lisiecki entführte mit Chopins Nocturne cis-Moll ins Reich feinster Nuancierungen, das Orchester musste gleich viermal ran: mit dem ausgelassenen "Tanz der Gaukler" aus Tschaikowskys Schneeflöckchen", Beethovens Türkischem Marsch aus den "Ruinen von Athen", einem Satz aus Hugo Alfvéns "The Prodigal Son" und einem hinreißend jazzigen Ausschnitt aus Händels "Wassermusik" in der Bearbeitung von Daniel Schnyder.

Der WDR überträgt das Konzert am Samstag, 4. Oktober, um 13.04 Uhr auf WDR 3 als Konzert der Woche.

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