65. Berlinale Im "Taxi" nach Berlin

BERLIN · Mutiger Sieger, weise Jury: Der Iraner Jafar Panahi gewinnt in Abwesenheit den Goldenen Bären der 65. Berlinale.

 Tränen der Rührung: Hana Saeidi nimmt den Goldenen Bären für ihren Onkel Jafar Panahi entgegen, rechts Jury-Chef Darren Aronofsky.

Tränen der Rührung: Hana Saeidi nimmt den Goldenen Bären für ihren Onkel Jafar Panahi entgegen, rechts Jury-Chef Darren Aronofsky.

Foto: dpa

Der Hauptpreisträger muss zur Trophäen-Aushändigung erscheinen! Darauf legt jeder Festivalpräsident Wert. Bei der 65. Berlinale war das am Wochenende anders. Dieter Kosslick und auch alle anderen wussten, dass der Gewinner seine Trophäe nicht würde abholen können. Stattdessen kletterte ein zehnjähriges Mädchen auf die Bühne, reckte die funkelnde Trophäe stolz in die Höhe und brachte dann vor lauter Tränen kaum ein Wort heraus.

Gerührt war in diesem Moment der ganze Saal: Bei dem Mädchen handelte es sich um die Nichte des iranischen Regisseurs Jafar Panahi, die im Film mitspielt und ihrem Onkel die absurden Zensurregeln für Kinofilme vorliest. Panahi selbst darf sein Land nicht verlassen. Er ist zu einer (bislang ausgesetzten) Gefängnisstrafe verurteilt, steht unter Berufsverbot - und hat doch heimlich einen Film gedreht, bereits seinen dritten. In "Taxi" kurvt er durch Teheran und lässt seine Fahrgäste über Scharia, Korruption und die Perfidie des Geheimdienstes plaudern. Ein Mutiger verwandelt seine schwierige Situation in erstaunlich humorvolle Kunst.

Diese Entscheidung der Jury unter ihrem Vorsitzenden Darren Aronofsky war so klug wie die Verteilung des Bärenfells insgesamt. Die Juroren würdigten Werke, die etwas über unsere Gegenwart zu sagen haben. Das entsprach einem Wettbewerb mit vielen engagierten Filmen, die zugleich über eine eigene ästhetische Handschrift verfügten. Gewiss galt das für den chilenischen Beitrag "El Club" (Großer Jury-Preis). Bitterböse erzählt Regisseur Pablo Larraín darin von Priestern, über deren Verbrechen die Katholische Kirche den Mantel des Schweigens breitet. Mit "Ixcanul" wurde ein Werk gewürdigt, in dem eine Maya-Familie gegen Großgrundbesitzer zusammensteht. Seine beiden Hauptdarstellerinnen im ersten guatemaltekischen Wettbewerbsbeitrag überhaupt brachte Regisseur Jayro Bustamante mit auf die Bühne. Und Patricio Guzmán wurde für sein Drehbuch zu der Doku "Der Perlmuttknopf" über die blutige Geschichte Chiles geehrt.

Vielleicht hätte die Jury noch klarere Akzente setzen können. Den Regiepreis teilte sie zwischen dem Rumänen Radu Jude ("Aferim!") und der Polin Ma?gorzata Szumowska ("Body") auf - hier ein in Schwarzweiß gedrehter Western über die Versklavung von "Zigeunern" im 19. Jahrhundert, dort ein Drama über ein magersüchtiges Mädchen und dessen schwieriger Beziehung zum Vater. Ebenso kamen die Kameraleute gleich von zwei Filmen für ihre herausragende künstlerische Leistung in Bären-Genuss: Evgeniy Privin und Sergey Mikhalchuk gewannen mit dem russischen Gesellschaftspanorama "Under Electric Clouds", Sturla Brandth Grøvlen siegte mit "Victoria" - der atemlosen Geschichte eines Berliner Bankraubs, gedreht in nur einer Einstellung.

Letztere Trophäe der Berlinale war die einzige für die Deutschen. "Victoria"-Regisseur Sebastian Schipper sowie seine Kollegen Werner Herzog ("Queen of the Desert") und Andreas Dresen ("Als wir träumten") werden es verschmerzen. Umso cleverer der Schachzug der Jury, die Schauspielerpreise an die Darsteller nur eines Films zu vergeben: Tom Courtenay und Charlotte Rampling spielen in "45 Years" (Regie: Andrew Haigh) ein altgedientes Ehepaar, dessen Beziehung durch eine Nachricht aus der Vergangenheit aus den Fugen gerät. Im subtilen Wechselspiel der beiden wird die tiefe Verunsicherung begreiflich.

Der Goldene Bär könnte Panahi Schutz vor weiteren Sanktionen bieten. Die iranische Regierung hatte seine Nominierung schon vorab missbilligt. Die Berlinale hat sich davon nicht beeindrucken lassen und ist im 65. Jahr ihrem Ruf als politisches Festival gerecht geworden. "Wir sind in dieser Welt drin und auch auf dem roten Teppich", hatte Kosslick gesagt. So hat es Panahi, auch wenn er nicht anreisen durfte, in seinem "Taxi" doch nach Berlin geschafft. Glamour, Glanz, politische Teilhabe: Das passte zusammen bei dieser glücklicherweise friedlich verlaufenden Berlinale. Panahi zeigte sich gestern glücklich über den Erfolg, noch glücklicher aber wäre er, wenn er im Iran vernünftig arbeiten und seine Filme dort vorstellen dürfte. "Jeder Filmemacher will, dass sein Film erst daheim gezeigt wird", sagte Panahi der Nachrichtenagentur ILNA.

Die Preise der Berlinale

Goldener Bär: "Taxi" von Jafar Panahi (Iran)

Silberner Bär, großer Preis der Jury: "El Club" von Pablo Larraín (Chile)

Silberner Bär für die beste Regie: Radu Jude (Rumänien) für "Aferim!" Malgorzata Szumowska (Polen) für "Body"

Silberner Bär für die beste Darstellerin: Charlotte Rampling in "45 Years" von Andrew Haigh (Großbritannien)

Silberner Bär für den besten Darsteller: Tom Courtenay in "45 Years" von Andrew Haigh (Großbritannien)

Silberner Bär für herausragende Künstlerische Leistung: Sturla Brandth Groveland - Kamera in "Victoria" von Sebastian Schipper (Deutschland) Evgeniy Privin und Sergey Mikhalchuk - Kamera in "Under Electric Clouds" von Alexei German

Bestes Drehbuch: Patricio Guzmán (Chile) für "Der Perlmuttknopf"

Alfred-Bauer-Preis: "Ixcanul Volcano" von Jayro Bustamante (Guatemala)"

Goldener Bär, bester Kurzfilm: "Hosanna" von Na Young-kil

Silberner Bär, bester Kurzfilm: "Bad at Dancing" von Joanna Arnow (USA)

Bester Erstlingsfilm: "600 Millas" (600 Miles) von Gabriel Ripstein

Preis der Ökumenischen Jury: "Der Perlmuttknopf" von Patricio Guzmán, "Ned Rifle" von Hal Hartley, "Histoire de Judas" von Rabah Ameur Zaimeche

Preis der Gilde Deutscher Filmkunsttheater: "Victoria" von Sebastian Schipper

Friedensfilmpreis: "The Look of Silence" von Joshua Oppenheimer

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