Nina Hagen wird 60 "Ich will keine Hits produzieren, ich bin der Hit"

BONN · Mit Cosma Shiva, die sie 1981 gebar, wuchs in Nina Hagen nicht nur ihr erstes Kind heran, sondern auch ein fantastisches Sensorium für tiefe Wahrheiten und verblüffender Erkenntnisse.

 Gesamtkunstwerk: Nina Hagen, aufgenommen im September 2012 in Berlin.

Gesamtkunstwerk: Nina Hagen, aufgenommen im September 2012 in Berlin.

Foto: dpa

Sie glaubte plötzlich an Ufos und daran, dass Gott LSD erfunden habe. David Bowie, verriet sie, sei ihr in einem früheren Leben sehr nahe gewesen, mit Shirley MacLaine habe sie einst in Peru beim Bau der Pyramiden geholfen. "Ich glaube, man kann keinen tiefen Sinn in mir finden, denn ich bin der tiefe Sinn selbst", brachte sie ihr Wesen auf eine prägnante Formel.

Nina Hagen, die heute 60 wird, ist kraft zahlloser Häutungen und Metamorphosen zum selbst gebastelten Gesamtkunstwerk geworden. Ihr Privatleben war so aufregend und abwechslungsreich wie ihre Musik, die Frau mit der orgelnden Vier-Oktaven-Stimme galt eine Zeit lang als "Deutschlands bedeutendster Beitrag zur Pop-Kultur seit Brecht".

Geboren wurde sie 1955 als Tochter der Schauspielerin Eva-Maria Hagen und des Schriftstellers Hans Hagen in Ost-Berlin. Nach der frühen Trennung der Eltern wurde der regimekritische Liedermacher Wolf Biermann als neuer Lebensgefährte der Mutter ihr Ziehvater. Auch sie geriet deshalb ins Visier der Stasi und durfte - wohl aus politischen Gründen - nicht wie erhofft auf die Schauspielschule.

Godmother of Punk wird 60
10 Bilder

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Mit Schlagern wie "Du hast den Farbfilm vergessen" als Kultfigur der DDR-Jugend gefeiert, folgte sie 1976 mit ihrer Mutter dem ausgewiesenen Biermann in die Bundesrepublik. Sie machte mit wechselnden Bands Karriere und hatte nach einem längeren Abstecher in die USA auch im Ausland Erfolg.

Ihr erstes Album mit der Nina Hagen Band 1978 vibrierte förmlich vor Berliner Deftigkeit und punkiger Energie. Stücke wie "Unbeschreiblich weiblich", "Bahnhof Zoo", "Naturträne" und "Heiß" waren hinreißend. Diese Art von Deutschrock präsentierte sich lyrisch wie musikalisch auf internationalem Popniveau. Später probierte Hagen viele Genres aus, sang mal deutsch und mal englisch, inszenierte mit Meret Becker in Berlin einen Punk-Brecht-Abend. Immer getreu dem Motto: "Ich will keine Hits produzieren, ich bin der Hit." Die Gospelplatte "Personal Jesus" (2010) hatte Qualitäten, ebenso das 2011 erschienene Polit-Album "Volksbeat". Derzeit plant Hagen eine Frankreich-Tournee. In Zusammenarbeit mit dem deutschen Blues-Rocker und Produzenten Daniel Welbat ("WellBad") soll 2015 ein neues Album herauskommen.

Im Mai 2000 trat die Hagen in der Bonner Harmonie auf; es war ein bizarrer Höhepunkt des Kulturjahres in der Stadt. Nina Hagen, auf Indisch Haidakhandi Shivani, verkündete die frohe Botschaft des Himalaya, reklamierte vor ihrem Konzert "eine Menschheit, eine Familie", beschwor die "göttliche Mutter" und forderte die vielen schwitzenden Menschen im Publikum auf: "Fleißig miteinander beten und lieben".

Die Musiker - allesamt indisch bewegte Europäer - sangen, trommelten und klampften sich in eine höhere Bewusstseinssphäre. Immer wieder erhob sich die unverkennbare Stimme Hagens über den egalitären Gruppengesang.

Hagen wird sich und die Welt auch in Zukunft überraschen. "Leute, ich bin jetzt 60, ich finde das waaaaahnsinnig alt!!!", hat sie im Interview der Deutschen Presse-Agentur herauskrakeelt. Für sie gilt jedoch: Alter schützt vor Produktivität nicht.

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