Podiumsdiskussion über Genies und Mythen in der Bundeskunsthalle Ich bin ein Star, holt mich hier raus

Es hätte ein informativer Abend werden können, und war doch phasenweise nur kabarettreif. Dabei waren die Rahmenbedingungen für die Diskussion der Reihe "Geisteswissenschaft im Dialog" durch die eloquente führende akademische Modeexpertin Barbara Vinken, Münchner Romanistik-Professorin, und die nicht minder gewandte Leipziger Professorin Beatrice von Bismarck sowie den Kunsthistoriker Thomas Kirchner von der Max Weber Stiftung denkbar ideal für einen hochkarätigen Austausch über den Starkult.

 Im Streitgespräch: Barbara Vinken und Markus Lüpertz.

Im Streitgespräch: Barbara Vinken und Markus Lüpertz.

Foto: Horst Müller

Wäre der Malerfürst Markus Lüpertz nicht immer wieder in den Diskurs hineingegrätscht, hätte er nicht gefühlt so viel Redezeit auf dem Podium der Bundeskunsthalle für sich beansprucht wie alle Diskutanten zusammen.

Mit sanftem Lächeln ließ der Moderator Markus Brock den spitzbärtigen, als Dandy kostümierten Maler - "ich bin ein schwer arbeitender, gut gekleideter ältere Herr" - gewähren, der seine populistische Ego-Show abzog. Er sei ein schöner Mann, sagte er und: "Ich entschloss mich eines Tages, ein Genie zu sein - und war eines." Es ist immer wieder unterhaltsam, Lüpertz zuzuhören, nur brachte es die Runde der Max Weber Stiftung zum Thema "Künstlerkult, Starkult. Phänomen oder kalkulierte Strategie? Von Michelangelo bis Lagerfeld" kaum einen Schritt weiter. Lüpertz' Lamento über Popstars, die allesamt "rauschgiftsüchtige Bengelchen" seien, über den Niedergang der Kunst, die nur noch Kitsch oder Design sei, über "ästhetische Verblödung", den Verlust der Werte und den Hang zum Konsum ist sattsam bekannt.

"Wir wissen, wohin uns diese Werte geführt haben", orakelte Kirchner und empfahl Lüpertz, die Gegenwart auch nach ihren immensen Potenzialen zu beurteilen. Und Vinken korrigierte den Maler, indem sie den Konsum nicht als Verfallserscheinung, sondern als höchst kreative, komplexe und auch lustvolle Herausforderung bezeichnete: "Konsumieren ist kein passivisches, bulimisches In-sich-Reinschaufeln." Nach der Französischen Revolution sei die Kunst zur Ware geworden, der Künstler - der nicht mehr an den Fürstenhof oder die Geistlichkeit gebunden war - musste dafür sorgen, dass seine Kunst marktgängig werde. Die Selbstinszenierung als Künstler oder Genie gehöre dazu. Für Vinken ist Lagerfeld ein Beispiel, wie ein Künstler den Warencharakter seiner Schöpfungen zum Thema macht.

"Stars reflektieren, was sich eine Gesellschaft sehnlichst wünscht", meinte die Kunsthistorikerin Beatrice von Bismarck, und "die Gesellschaft schafft sich ihre Stars", indem sie die Kriterien festlegt. Der Star entlaste die Gesellschaft auch, indem er dem einzelnen Menschen den Druck nehme, fortwährend kreativ zu sein - "die Überforderung damit ist ein Markenzeichen unserer Gesellschaft". "Der Star gaukelt uns vor, dass alles in seinem Leben kreativ ist, dass ihm alles zur Verfügung steht", sagte sie. Kirchner sprach vom Mythos der Kreativität, der Stars vom Rest der Menschheit trenne, die "nur funktionieren müssen": "Der Star ist nicht greifbar."

Dass der Starkult nicht erst seit Warhols Vision, jeder werde in Zukunft 15 Minuten lang berühmt sein können, mit dem Drang, öffentlich zu sein, zusammenhängt, wurde im Laufe des Abends klar: "Die Sichtbarkeit ist ein Wert an sich", meinte von Bismarck. Doch: Wie wird man Star? "Wir wissen nicht, worauf der Erfolg basiert, sonst könnten wir strategisch darauf zuarbeiten", sagte Beatrice von Bismarck. Und woran erkennt man einen Star? Alle bis auf Lüpertz (der Banksy nicht kennt) einigten sich darauf, diesen weltberühmten Street-Art-Künstler, der seine Anonymität wahrt und nur durch seine Werke greifbar ist, als den zeitgemäßen Star der Gegenwart zu sehen.

"Die Gesellschaft bekommt, was sie begreift", gab Lüpertz irgendwann zum Besten, wozu wohl auch Stars und Genies zählen. Nach reichlich über zwei Stunden Argumenten und Phrasen zum Startum dachten wohl nicht wenige im Plenum: "Ich bin ein Star, holt mich hier raus!"

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