Kulturpolitischer Aschermittwoch Hören als Lust und Pein

Der Politische Aschermittwoch ist gewöhnlich ein Anlass für verbale Rüpeleien und grobe Worte. Nicht so in Bonn, wenn das Kultur- und Politvolk gesittet zusammenkommt, um zurück und in die Zukunft zu blicken.

 Kulturkreisvertreter mit Stargast Alfred Brendel (dritter von links): Stephan Eisel, Elisabeth Einecke-Klövekorn, Marlies Schmidtmann, Ulrich Schlottmann, Erika Coché, Werner Hundhausen und Ulrich Bumann (von links nach rechts).

Kulturkreisvertreter mit Stargast Alfred Brendel (dritter von links): Stephan Eisel, Elisabeth Einecke-Klövekorn, Marlies Schmidtmann, Ulrich Schlottmann, Erika Coché, Werner Hundhausen und Ulrich Bumann (von links nach rechts).

Foto: Horst Müller

Ein Abend der leisen, der Zwischentöne im Kunstmuseum, begleitet von den jungen Sängern aus Tono Wissings Chor "Sunday Morning" und mit dem Starpianisten Alfred Brendel als Redner, der wie kein anderer über Hörbares, Unhörbares und Ungehöriges in der Musik sprechen kann. Doch bevor Brendel mit sanfter Stimme das aktive Hören und die Stille dazwischen zum Thema machte, servierte Ulrich Schlottmann, einer der sieben Sprecher des Kulturkreises Bonn, kulturpolitische Wahrheiten und Ärgernisse des Kulturjahres.

Der schleppende Gang bei der Sanierung der Unigarage wie beim Fortgang des Festspielhaus-Projekts erzürnt Schlottmann ebenso wie die drohende Schließung des Pantheons, des Deutschen Museums und Frauenmuseums, sollten, wie geplant, die Geldhähne abgedreht werden: "Das kommt für uns nicht infrage", sagte Schlottmann. Es könne nicht sein, dass das Sparen überproportional zu Lasten der Kultur gehe. Die Begehrlichkeiten, sich an der Kunst zu bedienen - siehe Verkauf der NRW-eigenen Warhols und die Pläne mit der Portigon-Sammlung - wertete er als "Kampfansage" gegen die Kultur. Die bislang teilweise erfolgreichen Proteste dagegen zeigten, so Schlottmann, eines: "Es lohnt sich, gegen den Ausverkauf der Kultur aufzustehen. Lobende Worte fand er für die engagierte und großzügige Unterstützung des Projekts Festspielhaus durch die Post AG.

Auch Brendel kam gegen Ende seines Vortrags "Über das Hören" auf das Thema Festspielhaus zu sprechen: Er habe oft in der Beethovenhalle gespielt, sagte der 1931 geborene Pianist, und kenne die "gravierenden Schwächen" der Akustik dieses Saales. "Ein neuer Raum wird einer Musikstadt, die einen Beethoven hervorgebracht hat, würdig sein", sagte er beschwörend. Wo, wenn nicht dort, könne man seine "Sphärenmusik" richtig erleben? Brendel weiß, wovon er spricht. Als erster Musiker hat er das Klavierwerk Beethovens in seiner Gesamtheit aufgenommen, sein Repertoire reicht von Bach bis Schönberg. In Bonn war er wiederholt zu hören. Nach dem Ende seiner Pianistenkarriere kehrte er als Rezitator eigener Werke zurück: Etwa mit "Brendel liest Brendel" beim Beethovenfest 2009.

Auch gestern Abend ging es um Musik, als er Texte aus seinen Büchern "Nach dem Schlussakkord" und "Wunderglaube und Misstonleiter" vortrug. "Hören ist Lust und Pein", sagte er und machte Spürbar, was ein Musiker empfindet, wenn er auf der Bühne sitzt. "Der Musiker möchte die Stille hören." Was er hasst: "offenes Husten, zwanghaftes Räuspern, ein pfeifendes Hörgerät, ein Mobiltelefon". Und dann fragt er sich, "ob das Publikum, die tausendohrige Gottheit, ihn erhört hat". Brendel als Poet: "Musik ist von Raum umschlossen, der den Klang zum Blühen bringt oder ihn erstickt, der sich aber auch weiten kann ins Offene und Unendliche, als Befreiung oder Bedrohung."

Die Vertreter des Bonner Kulturkreises, in dem 61 Kulturfördervereine aus Bonn und der Region mit rund 30 000 Mitgliedern organisiert sind, lauschten ergriffen. Auch als Brendel über das Schicksal der jüdischen Pianistin Katja Andy sprach, deren Karriere 1933 von den Nazis verhindert wurde und die auch im Exil in den USA nicht als Konzertpianistin reüssieren konnte. Brendel zeichnete diesen Lebensweg liebevoll nach, wie er auch bei der haarsträubenden Geschichte über die Pianistin Joyce Hatto Ironie und Witz durchblitzen lies. Hundert CDs sind unter ihrem Namen erschienen, doch alle bis auf eine beruhen auf geklautem und zum Teil von Hattos Gatten verfremdetem Tonmaterial älterer Pianisten. Brendel, immerhin, sei nicht unter den Opfern, meinte er schmunzelnd.

Getäuscht wurden unter anderem auch Starkritiker die nun lobten, was sie früher unter anderem Pianistennamen verschmäht hatten. Sehr zur Freude Brendels.

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