Projekt nach August Strindberg "Fräulein Julie (Applause!)" in der Werkstatt

BONN · Der Schlag sitzt. Nachdem das adlige Fräulein Julie (Laura Sundermann) dem Domestiken Domi (Samuel Braun) so richtig eine gewatscht hat, fällt von dem jungen Mann alle naive Zartheit ab.

 Ohne Perücke und ohne Illusionen: Laura Sundermann als Fräulein Julie.

Ohne Perücke und ohne Illusionen: Laura Sundermann als Fräulein Julie.

Foto: Thilo Beu

Der Rebell erwacht, seinen noch unerfüllten Traum vom sozialen Aufstieg breitet er in einer aggressiven Suada aus. Jetzt ist er bereit für den Kampf Mann gegen Frau, den der schwedische Dramatiker August Strindberg in sein 1889 uraufgeführtes Stück "Fräulein Julie" eingebaut hatte.

Der Kampf folgt bei ihm auf die Vereinigung zwischen der arroganten, sehr sinnlichen Grafentochter Julie und dem Diener Jean in der Mittsommernacht. Er will sozial nach oben, sie - für guten Sex - nach unten. Auf den Rausch der gesellschaftlich nicht erwünschten Paarung folgen Ernüchterung, Streit, Hass. Und der Selbstmord der jungen Adligen.

Bei Strindberg hieß der Diener Jean, in Dominik Lochers Werkstatt-Projekt "Fräulein Julie (Applause!)" nach August Strindberg hört er auf den Namen Domi. Domi wie Dominik. Christine, bei Strindberg Herrscherin über die Küche, heißt jetzt Lila (Anna von Haebler). Lila ist jetzt Domis hochschwangere Frau.

An dem einstündigen Theaterabend setzt Locher eine von zwei Monitoren übertragene Videobotschaft ans Publikum ab, in der er gut gelaunt von der Geburt seines ersten Kindes berichtet. Der Schweizer Projektleiter, 31, ist Teil des Spiels. "Es mag sein, dass sich Locher mit dieser schrägen und schamlosen Selbstdarstellung gefährdet. Aber nur wenn man dazu bereit ist, lassen sich Dinge aussprechen, die sich sonst verbieten", stellt der "Julie"-Dramaturg Martin Hammer im Programmheft fest. Wow!

Lukas Stucki (Ausstattung) hat eine Küchenzeile in der Werkstatt aufgebaut. Bei Strindberg war die Küche Symbol: der Unterleib des adligen Hauses. Bei Locher fehlt der Küche eine tiefere Bedeutung; sie ist banal. An der Wand hängt als Kontrast das Gemälde einer Adligen à la Gräfin Stephanie Gräfin von Pfuel aus der Kaffee-Werbung.

Laura Sundermann zeigt Julie zunächst im Lady-Gaga-Modus. Deren Song "Bad Romance" ist so etwas wie das Leitmotiv der Aufführung. Sundermann, ganz in Schwarz, mit Latex-Body, Reifrock, blonder Perücke und viel Kajal, erscheint wie eine hyperaktive Puppe. Sie spielt Katz und Maus mit dem anfangs fragilen Domestiken. Lila ist meistens Zeugin der körperbetonten, häufig tänzerischen Annäherung zwischen Herrin und Diener. Lila: die Frau als Opfer. Am Ende jedoch siegt die Kleinfamilie (inklusive Puppenkind) über das affektierte Affärenspiel der Julie.

Domi beutet ihre Beziehung aus, mit dem Buch "Meine Nacht mit Gräfin". Mögliche Deutung: So ist unsere promigeile Zeit, in der sich das Private exhibitioniert. Julie bleibt allein zurück und verabschiedet sich mit dem Lady-Gaga-Song "Applause".

Es gibt kaum einen roten Faden zu entdecken, aber allerlei Versatzstücke des selbstverliebten Pop-Theaters zu erleben. Braun und von Haebel bieten ein Duett, sie singt in den Mixer, er in den Turnschuh. "Bitch bleibt bitch", zischt Domi im Streit mit dem Fräulein. Alles scheinbar auf der Höhe der Zeit, im Theater aber schon seit längerem Konvention.

Das Tolle an diesem Abend ist der Autor - Strindberg, nicht Locher. Immer wenn er zu Wort kommt, laufen die Schauspieler zu Höchstform auf. Sundermann und Braun stürzen sich wie angriffswütige Raubtiere aufeinander - ganz im Sinne des alten Schweden Strindberg. Die drei Schauspieler sind abwechselnd rasend aktiv, furios brütend, maliziös, erregt und niedergeschlagen. Ihre Figuren teilen aus und stecken ein. Das Publikum sah zu und klatschte leidenschaftlich.

Weitere Vorstellungen: 24., 26. und 31. Oktober, 9., 20., und 29. November, 1., 7., 14. und 20. Dezember. Karten gibt es in den Bonnticket-Shops der GA-Zweigstellen.

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