Roman von Bernhard Schlink Finale mit Feuer, Sturm und Tod

BONN · Herausfordernd oder demütig, lasziv oder somnambul - jeder sieht diese blonde Nackte anders die Stufen hinuntergehen. "Ema (Akt auf einer Treppe)" ist eines der berühmtesten Gemälde von Gerhard Richter und Keimzelle des neuen Romans von Bernhard Schlink.

 Gerhard Richters Bild "Ema" in der 2011 gezeigten Ausstellung "Bilder einer Epoche" im Bucerius Kunst Forum in Hamburg.

Gerhard Richters Bild "Ema" in der 2011 gezeigten Ausstellung "Bilder einer Epoche" im Bucerius Kunst Forum in Hamburg.

Foto: dpa

Diese Inspiration legt der Autor ("Der Vorleser") bereitwillig offen. Zugleich tauft er die gemalte Frau Irene (Richter malte seine damalige Gattin Marianne Eufinger) und nennt den Maler Karl Schwind. Sicherheitshalber erklärt er im Nachwort, dass "Gerhard Richter und der Maler Irenes nichts miteinander gemein" hätten.

Naja, außer dass Schwind bei Schlink als der derzeit "berühmteste und teuerste Maler der Welt" gilt, der mit einer suggestiven Wischtechnik sowie Wellen- und Wolkenbildern bekannt wurde. Da richtert's doch gewaltig, wobei die Einschätzung des Genies weniger bewundernd als resignierend klingt: "Sie sind der Künstler, dem alles zu Gebot steht und der von allem Gebrauch macht und zu dessen Kunst es keine Alternative mehr gibt."

Der Rest ist Fiktion. Als der Ich-Erzähler, ein namenloser Wirtschaftsanwalt, das lange verschollene Bild in einer Galerie in Sydney wiederentdeckt, versetzt ihn der Anblick vier Jahrzehnte zurück, ins Jahr 1968. Damals sollte er als junger Jurist zwischen Irenes Mann, dem Unternehmer Gundlach, und Karl Schwind vermitteln, der diesem die schöne Gattin ausgespannt hatte: die Frau auf dem Bild. Doch natürlich verliebt sich der Advokat selbst in Irene, die ihm die gemeinsame Flucht mitsamt "ihres" Gemäldes in Aussicht stellt. Der Entflammte aber wartet vergebens am Treffpunkt und führt fortan ein ebenso vernünftiges wie erfolgreiches Leben.

Als Witwer wird ihm nun beim Anblick des Bildes das Versäumte klar. Und während Schlink geschickt zwischen Altersmüdigkeit und jugendlicher Hitze hin- und herschneidet, macht sich sein blasser Protagonist auf die Suche nach Irene.

Als er sie in einer versteckten Bucht an Australiens Küste aufspürt, prallen zwei Lebensentwürfe aufeinander: seine risikoscheue Strebsamkeit und ihr zorniges Harakiri-Temperament, das sie sogar in die Arme der RAF-Terroristen trieb. Ob er etwas falsch gemacht habe, will der damals Verschmähte wissen, und Irene sagt kühl: "Du hättest ein anderer sein müssen."

Das alles ist klug ausgedacht, klingt aber eher nach Schlinks erstem Beruf, der Juristerei. Hier schwingt sich kein Pegasus zu Höhenflügen auf, sondern hier trabt meist ein Paragrafenhengst durchs verbale Ödland. Und man fragt sich, ob der Autor bewusst einen so unsympathischen Pedanten kreierte, der etwa seine Ehe "erfolgreich durchgezogen" hat.

Erst auf seine alten Tage mutiert der Langweiler zum Abenteurer. Zumindest in Gedanken: Als Irene schon todkrank darniederliegt, malt er ihr jenes wilde Vagabundenleben aus, das beide hätten führen können. Und zwar nicht im Konjunktiv, sondern als plastischen Erlebnisbericht. Hier blüht der Text überraschend auf, so dass man zum ersten und einzigen Mal eine existenzielle Dringlichkeit spürt, das Drama verschenkter Liebe.

Letztlich aber kann weder dieser Fantasie-Realismus noch das Finale mit Feuer, Sturm und Tod das Buch aus wohltemperiertem Mittelmaß retten. Nicht nur der Held, auch dieser Roman hätte ein anderer sein müssen.

Bernhard Schlink: Die Frau auf der Treppe. Roman, Diogenes, 244 S., 21,90 Euro.

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