Herlinde Koelbl: Ausstellung in Bundeskunsthalle Feuer frei auf neue Feindbilder

BONN · Der grüne Pappkamerad mit dem roten Stern auf dem Sowjethelm, der Kalaschnikow im Arm und dem amtlichen Namen "Iwan" hat ausgedient: US-Soldaten und Spezialkräfte zielen und schießen inzwischen auf eindeutig arabisch aussehende Figuren mit Palästinensertuch und Maschinengewehr im Anschlag

Andere Länder, andere Ziele: Im Libanon schießen Soldaten zu Übungszwecken auf dekolletierte Frauen,...

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Foto: Herlinde Koelbl

Auf deutschen Schießplätzen hat sich in den letzten Jahrzehnten großteils nichts geändert - die Bundeswehr übt auf ihren Schießplätzen mit einer landsmannschaftlich nicht einzuordnenden Figur. Wo aber der moderne Häuserkrieg trainiert wird, sieht man auf deutschen Anlagen Afrikaner als Zielscheibe oder einen Araber, der eine - blonde - Frau in seiner Gewalt hat. Die Feindbilder haben sich nicht nur gewandelt, sie sind auch detaillierter geworden, man hat sie geradezu personalisiert.

"Der Krieg hat sich verändert, er ist asymmetrisch, findet in Häusern und Dörfern statt", sagt die deutsche Fotografin Herlinde Koelbl in der Bundeskunsthalle zu einer Situation, in der nicht mehr Nationen gegeneinander antreten, sondern reguläre Armeen es mitunter mit Terrorgruppen zu tun haben. "Früher hatte der Feind Uniform an, jetzt trägt er etwas anderes, ist nicht als Kämpfer erkennbar."

Die Fotografin und Filmemacherin, die heute 75 wird, hat diese Erkenntnisse nicht aus der Zeitung oder in politischen Seminaren gewonnen. Sie hat sechs Jahre lang auf den Schießplätzen der Welt in Afghanistan und in der Schweiz, in Norwegen und in den Vereinigten Arabischen Emiraten, in Südkorea, in der Ukraine und 24 weiteren Ländern nach neuen Feindbildern recherchiert, hat bei Interviews mit Ausbildern, aktiven Kämpfern, Scharfschützen und Konflikt-Heimkehrern die Philosophie dieser asymmetrischen Kriege ergründet.

Herausgekommen ist eine einzigartige Dokumentation aus Fotografien, Texten und einer Videoinstallation. "Targets", das sind Zielscheiben, hat Koelbl ihr Langzeitprojekt genannt, das sie zuerst im Deutschen Historischen Museum Berlin zeigte und jetzt in der Bonner Bundeskunsthalle präsentiert. Für "Targets" hat sie in Konsulaten, Botschaften und Verteidigungsministerien von 30 Ländern Klinken putzen müssen.

Zwei Jahre lang bemühte sie sich etwa erfolgreich um den Zugang zu den Schießanlagen der Vereinigten Emirate. Bei China dauerte es zwei Jahre. An Nordkorea biss sich die Fotografin, die mit ihren Serien "Das deutsche Wohnzimmer" (1980), den Porträts "Spuren der Macht" (1999) und "Schlafzimmer" (2002) Fotogeschichte geschrieben hat, die Zähne aus. "Targets" ist ihre beklemmendste Serie. Vielleicht auch, weil Koelbl streng dokumentarisch vorgeht, keine Wertungen vornimmt, den Besucher allein lässt mit diesen Bildern eines zynisch anmutenden Trainings für den Krieg, mit Zitaten wie: "Ich habe nie Schuld empfunden, Leute zu töten, die den Tod verdienten. In meinen Augen haben sie den Tod verdient, weil sie der Feind sind. Ich bin darauf trainiert, so zu denken."

Der Besucher sieht die geradezu personalisierten rassistischen Kugelfänger, die in den USA, Israel oder in der Ukraine nachgebauten Dörfer mit ihren Moscheen und orientalischen Hütten - Übungscamps für den Häuserkampf Mann gegen Mann. Man wagt es nicht nachzudenken, was in dem französischen Soldaten vorgeht, der auf eine Figur schießt, die als farbige Frau mit aufgemaltem Tanga und der Schrift "C'est ta mère" (das ist deine Mutter) zum Abschuss freigegeben ist.

Wo endet die Notwendigkeit, sich mit drastischstem Realismus auf Situationen im asymmetrischen Krieg vorzubereiten, und wo beginnt menschenverachtender Zynismus? Herlinde Koelbl zeigt in der ergreifenden Ausstellung, dass es diese klare Grenze nicht gibt. Sie zwingt den Besucher, eine eigene Position zu finden.

Und sie packt ihn bei den Emotionen: Eine Videoinstallation auf vier Wänden in einem sehr engen Raum zeigt bei heroisch anschwellender Musik Marschierende und routinierte Schießübungen, toll gefilmte Impressionen, bei denen Schönheit und Entsetzen nah beieinander liegen. Man hört das Stakkato der Maschinengewehre, Kommandos, Schreie vermeintlicher Verwunderter. Und dann kippen die Pappkameraden von Kugeln durchsiebt um. Eine Ausstellung mit seltener Intensität.

Info

Bundeskunsthalle, Friedrich-Ebert-Allee 4; bis 11. Januar 2015. Di, Mi 10-21, Do-So 10-19 Uhr. Katalog (Prestel) 49,95 Euro

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