Interview mit Michael Degen Erinnerungen an einen langen Abend

In den Commissario-Brunetti-Filmen spielt Michael Degen den eitlen Polizeichef Patta, der sich gern in den Vordergrund drängt. Im Gespräch wirkt der 83-Jährige, der den Holocaust in einem Versteck überlebte, dagegen fast schüchtern.

 Schreibender Schauspieler: Michael Degen.

Schreibender Schauspieler: Michael Degen.

Foto: dpa-Zentralbild

Am Sonntag, 12 Uhr, stellt er auf Einladung des Bonner Literaturhauses in der Bundeskunsthalle seinen neuen Roman "Der traurige Prinz" vor. Mit Degen sprach Sabine Spatzek.

"Der traurige Prinz" ist schon Ihr sechstes Buch. Sind Sie noch ein schreibender Schauspieler oder eher ein schauspielernder Autor?

Michael Degen: Ich glaube, beides. Die Schauspielerei wird nur gerade etwas stiefmütterlich bedient.

Weil Sie Ihre Zeit lieber mit Schreiben verbringen?

Degen: Ja, auch. Es gab gerade zwei große Angebote, die ich ablehnen musste, weil ich mit dem neuen Buch auf Lesereihe bin. Ich war aber irgendwie auch ganz froh, dass es nicht geklappt hat, denn sehr überzeugt war ich von den Drehbüchern nicht.

Als man vor Ihrem ersten Buch "Nicht alle waren Mörder" mit dem Vorschlag an Sie herantrat, die Geschichte Ihres Überlebens als jüdisches Kind in Nazi-Deutschland zu veröffentlichen, sollen Sie zuerst abgelehnt haben mit der Begründung, Sie könnten gar nicht schreiben. Inzwischen wissen Sie, dass Sie es doch können?

Degen: Nun, zumindest reicht es für den Augenblick. Man entwickelt sich ja natürlich auch. Damals hatte ich mit dem Verlag eine Vereinbarung getroffen, dass ich den Vertrag hätte annullieren können. Das Buch habe ich dann in drei Monaten geschrieben, konnte danach mein Schreibzimmer aber lange nicht mehr betreten. Zum ersten Mal war mir klargeworden, was meine Mutter in jener Zeit durchmachen musste.

Auch Ihr neues Buch ist autobiografisch. Es geht um einen langen Abend im Jahr 1983, den Sie im Haus des legendären Schauspielers Oskar Werner (1922-1984) verbracht haben. Der Untertitel lautet "Roman einer wahren Begegnung". Wie viel ist Dichtung, wie viel Wahrheit?

Degen: Im Grunde verlief dieser Abend genauso, wie ich ihn schildere. Wobei die Dialoge natürlich nicht wörtlich, sondern sinngemäß wiedergegeben sind. Ich hatte ja kein Aufzeichnungsgerät dabei, das hätte sich Oskar Werner nie gefallen lassen, und der Abend war ja so auch gar nicht geplant. Er hat aber einen solchen Eindruck auf mich gemacht, dass ich alles in meiner Erinnerung aufgezeichnet habe. Ich habe beim Schreiben selbst gestaunt, was ich alles noch wusste.

Sie stellen Oskar Werner als einen Schauspieler mit großartigen Fähigkeiten dar, aber auch mit starken Selbstzweifeln, die er mit Alkohol bekämpfen will. Kennen Sie solche Zweifel auch bei sich?

Degen: Schon. Aber das ging bei mir nie so weit, dass ich mich betäuben wollte, wie er es tat. Eher habe ich pausiert und eine Zeit lang alle Rollenangebote abgelehnt, zumindest auf dem Theater. Andererseits: Wenn einen eine Rolle nicht packt, ist sie auch nicht so spannend. Dann spielt man den Leuten etwas vor, was einen nicht wirklich beschäftigt.

Dann stecken Schauspieler wie Sie oder Oskar Werner ständig in einem Dilemma zwischen Langeweile und Hingabe bis zur totalen Erschöpfung?

Degen: So kann man es sagen. Aber irgendwann geht es dann wieder, und man muss ja schließlich irgendwie sein Geld verdienen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort
Limonade am Strand
Israel: Lesung und Gespräch im Haus der Geschichte Limonade am Strand