Werk des jüdischen Schriftstellers Sholem Yankev Abramovitsh Duftende Blumen aus dem Osten

Köln · Das Laufen klappt nicht mehr ganz so gut - aber der Enthusiasmus, den der 88-jährige Martin Walser bei der Vorstellung seines Buches "Shmekende Blumen" (Rowohlt), im kleinen Sendesaal des WDR verbreitet, ist einfach nur ansteckend.

 Martin Walser im Kleinen Sendesaal des WDR.

Martin Walser im Kleinen Sendesaal des WDR.

Foto: Meisenberg

Durch die befreundete Literaturwissenschaftlerin Susanne Klingenberg hat Walser den Schriftsteller Sholem Yankev Abramovitsh entdeckt. "Sie hat mir Kapitel für Kapitel ihres Buches geschickt." Und ein Lesefieber bei Walser entzündet. Er besorgte sich die vier Romane - "sie werden nicht mehr verlegt und sind nur noch über Antiquaritate zu bekommen". Nach der Lektüre "hatte ich das Gefühl, ich müsste reagieren, auf ihr Buch und auf den Autor".

Und so entstand "Shmekende Blumen" (was "Duftende Blumen" bedeutet), knapp 140 Seiten Werbung für Abramovitsh und Klingenbergs Abhandlung. "Ich möchte dafür tätig sein, dass man ihn bald wieder kaufen und lesen kann". Möglichweise werden die Bücher Ende nächsten Jahres bei Walsers Verlag Rowohlt erscheinen.

Aber was fasziniert den Büchner-Preisträger so an diesem Autor, der 1835 bei Minsk geboren wurde und 1917 in Odessa starb? Walser erzählt im Gespräch mit Moderatorin Manuela Reichart, dass er immer schon Völker und Länder über ihre Autoren kennengelernt habe. "Die USA kenne ich durch Faulkner, nicht durch die New York Times, Schweden durch Strindberg, Russland durch Dostojewskij. Die Literatur bleibt die höchste Auskunftsart!"

Abramovitsh hatte erst um 1864 begonnen auf Jiddisch zu schreiben. "Zunächst hatte er Hebräisch geschrieben, das Jiddische war zu dieser Zeit keine Schriftsprache für einen aufgeklärten Autor." Und seine wichtigste Figur, Mendele, der Buchhändler, entwickelt ein Eigenleben und wird oft gar als Pseudonym betrachtet.

Dieser Buchhändler zieht mit seinem Pferdewagen durch die Siedlungsgebiete der Ostjuden. "Er bringt den Kunden Bücher, bekommt aber auch Manuskripte, die er liest, redigiert und mit einem Vorwort versieht." So auch in "Die Mähre", woraus Schauspieler Bernt Hahn einen Ausschnitt vorträgt. Das geschundene Pferd sei dabei auf einer Ebene das Tier, auf einer weiteren verkörpere es das Leid der Juden, so Walser.

Vor der Entdeckung Abramovitsh' habe er nicht gewusst, "was die Juden in dieser Region gemacht, gelitten und geträumt haben". Und so findet er, dass es falsch, weil missverständlich war, in seiner Paulskirchen-Rede zu sagen, dass er bei Auschwitz-Bildern im Fernsehen wegschaue, "aber genauso wie bei Bildern aus Syrien", erklärt er nun. "Nach der Lektüre von Abramovitsh hätte ich das damals nicht gesagt."

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort
Im Zimmer der Macht
"Salonfestival" eröffnet am 19. Mai im Bonner Kanzlerbungalow Im Zimmer der Macht