Finale beim Jazzfest Die wichtigen Fragen des Lebens

Bonn · Gipfeltreffen der Jazztrompeter in der Bundeskunsthalle: Mit dem Franzosen Erik Truffaz und Franco Ambrosetti aus Lugano hatte das Jazzfest Bonn zwei Stars an diesem Instrument eingeladen, der eine, Truffaz, mit der Musik von Miles Davis und Chet Baker aufgewachsen, der andere ein Mann mit John Coltrane im Herzen.

 Nigel Kennedy und seine Band im Hendrix-Fieber.

Nigel Kennedy und seine Band im Hendrix-Fieber.

Foto: LUTZ VOIGTLÄNDER

Zwei Garanten für einen wunderbaren Abend, zu denen sich noch weitere Trompeter hinzugesellten: die fünf aus der brillanten Bläser-Sektion der WDR Big Band, allen voran John Marshall.

Sehr laut, impulsiv und ungewohnt rockig setzte sich zu Beginn der WDR-Express unter der Leitung von Stefan Behrisch in Bewegung. Behrisch hat auch die fantastischen Arrangements geschrieben. Keine Swing-Seligkeit, sondern harte Attacke, Funk, Rock und Reggae durchpulsten den WDR-Klangkörper. Gitarrist Paul Shigihara gab den Jimi Hendrix, Schlagzeuger Hans Dekker feuerte Salve um Salve ab, dass es eine reine Freude war. Truffaz hatte mit seinem entrückt-gehauchten oder auch aggressiven, temporeichen Spiel tolle Partner in den Solisten der Big Band, allen voran Karolina Strassmayer, Shannon Barnett und Paul Heller. Riesenbegeisterung im Publikum, das gegen Ende des Auftritts mit einen zarten Jazz-Walzer wieder auf Normalpuls gebracht, mit dem verspielten Reggae "La Vie Continue" und einer Zugabe in die Pause entlassen wurde.

Franco Ambrosetti brachte dann mit seinem hochkarätig besetzten Sextett ein neues Temperament, eine coolere Temperatur ins Spiel. Mit Coltranes "After The Rain" (auch der Titel der aktuellen Ambrosetti-CD) war der Kurs zu einem Improvisations-getriebenen Hardbop vorgezeichnet.

Ambrosettis launige Viertelstundenconference gab dem Ganzen einen familiären Anstrich. Denn der Ex-Unternehmer aus Lugano hat mit allen eine intensive musikalische Vergangenheit: mit der fulminanten Schlagzeugerin Terri Lyne Carrington, dem noblen, umwerfend ideenreichen Altsaxofonisten Greg Osby, der Basslegende Buster Williams, dem begnadeten Tastenvirtuosen Dado Moroni.

Dass auch Ambrosettis Sohn Gianluca (Sopransaxofon) mit seinen entfesselten Soli von der Partie war, rundete das Familienbild ab. Ein harmonisches Bild mit vielen individuellen Farben und Talenten, die ausgiebig in Szene gesetzt wurden. Unter der sanften Regie Franco Ambrosettis, der mit seinem sehr melodiösen, bisweilen bedächtig und fragil wirkenden Spiel diesem Sextett einen unverwechselbaren Sound gab. Einer der besten Abende des diesjährigen Jazzfests - das hörte man beim Auszug der Begeisterten aus der Bundeskunsthalle.

Den Morgen beginnt Nigel Kennedy mit Bach. Die Nacht aber gehört - zumindest war dies am Samstag so - (fast) ausschließlich Jimi Hendrix, dessen Musik der britische Geiger kaum weniger schätzt. Zum Jazzfest ins ausverkaufte Telekom Forum war Kennedy mit fünf weiteren Musikern gekommen, um sein neuestes, der Gitarrenlegende gewidmetes Projekt vorzustellen. Kennedy ist nicht der Musiker, dem es reichen würde, Hendrix' Gitarrensoli auf die Violine zu übertragen.

Auch ist das nicht der Job, den seine beiden ausgezeichneten Gitarristen zu übernehmen haben. Der blutjunge Österreicher Julian Buschberger und der erfahrene Robert-Plant-Partner Doug Boyle zitieren in ihren Soli zwar ausgiebig den Gitarrenhelden - auch mit den etwas nostalgisch anmutenden Wah-Wah-Effekten -, aber sie binden sich nicht sklavisch an das Vorbild, sondern bringen ihre eigenen musikalischen Ideen in den Hendrix-Kosmos ein. Gerade auch in dem großartigen Stück "Third Stone From The Sun", dessen psychedelische Stimmung sich im Zusammenspiel mit Nigel Kennedy sowie dem Bassisten Tomasz Kupiec, dem Schlagzeuger Adam Czerwinski und dem Perkussionisten Orphy Robinson beinahe trancehaft entfalten konnte.

Wie gut dieses Sextett ist, machte sich auch in den akustischen Sets deutlich, die dem Hendrix-Titel "Littel Wing" und später dann Musik von Béla Bartók gewidmet waren, die sich hier im übrigen erstaunlich gut einfügte. Denn das zweistündige Programm hatte - mit Ausnahme einiger witziger Moderationen und Abschweifungen zu wichtigen Themen wie Kennedys Lieblingsverein "Aston Villa" ("We have to discuss the problems of life") - etwas von einer sinfonischen Dramaturgie, in die Hendrix' Klassiker wie "Fire", "Purple Haze", "The Wind Cries Mary" oder "Hey Joe" auf packende Weise hineinverwoben wurden. Das Publikum war völlig begeistert. Kennedy gab sich zugabenfreudig mit dem virtuosen Average-White-Band-Cover "Pick Up The Pieces" und der hübschen Eigenkomposition "Fallen Forest".

Zuvor hatte das noch wenig bekannte "Rebecca Treschers Ensemble 11" die Bühne betreten, das mit ziemlich ausgetüftelten Arrangements von seiner neuen Platte "Fields" das Publikum zum genauen Hinhorchen animierte. Mehr Kontrast zur Kennedy-Show geht nicht.

Positive Bilanz des Jazzfestes: 100 Prozent Auslastung

Die Auslastung des Bonner Jazzfestes lag nach Angaben von Festival-Chef Peter Materna auch im sechsten Jahr wieder bei 100 Prozent. Insgesamt fanden 5000 Besucher den Weg zu den Konzerten in die verschiedenen Spielstätten im Bonner Stadtgebiet. "Das Konzept der Doppelkonzerte wird sehr positiv aufgenommen", sagte Materna am Sonntag.

"Die Besucher freuen sich darauf, die unbekannteren Bands der jeweiligen Abende kennenzulernen." In diesem Jahr standen mit der Aula der Universität und dem großen Foyer der Volksbank Bonn Rhein-Sieg zwei neue Spielorte im Programm. "Wir haben auch neue Sponsoren, die uns sehr unterstützen und ohne die es nicht möglich wäre, das Festival in dieser Qualität zu machen", sagte Materna.

Zu den künstlerischen Highlights des am Samstag zu Ende gegangenen Jazzfestes zählt Materna den Auftritt des legendären Jazzgitarristen Pat Martino. Echte Entdeckungen waren für ihn Frederik Kösters Programm "Die Verwandlung" in der Bundeskunsthalle und der Auftritt des Julia Kadel Trios im Kammermusiksaal des Beethoven-Hauses.

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