August Macke Haus Die Welt ist aus den Fugen

Vor einem Jahr konnte man überall in Bonn in die Augen von Max Beckmann schauen, diesen leicht panischen und auch müden Blick erfassen, das angestrengte, zum Betrachter gewendete Gesicht eines Sanitäters aus dem Jahr 1914, der mit der Linken etwas zu malen versucht.

 Auftritt der Dämonen und Folterknechte: Das Blatt "Die Nacht" aus Max Beckmanns Zyklus "Die Hölle" (1919).

Auftritt der Dämonen und Folterknechte: Das Blatt "Die Nacht" aus Max Beckmanns Zyklus "Die Hölle" (1919).

Foto: Museum

Die Bundeskunsthalle hatte halb Bonn und Teile der Republik mit dem Konterfei Beckmanns plakatiert, um für ihre großartige Ausstellung "1914. Die Avantgarden im Kampf" zu werben. Was mag Beckmann, der sich 1914 freiwillig als Krankenpfleger meldete, 1915 an der Westfront in Belgien in einem Typhuslazarett und einem Operationssaal bis zum Nervenzusammenbruch arbeitete, Fürchterliches gesehen haben? Wie hat er, der einst mit den markigen Worten "Meine Kunst kriegt hier zu fressen" in einen Krieg zog, der ihn letztlich durch seine Drastik überforderte, das alles verarbeitet?

Die Antwort gibt nun eine ausgezeichnete, von Martina Padberg kuratierte Ausstellung im August Macke Haus, die unter dem Titel "Schießbude und Irrenhaus" vier Grafikmappen Beckmanns der Jahre 1919 bis 1922 präsentiert und damit nicht nur die Befindlichkeit des Malers nach dem Trauma des Krieges spiegelt, sondern auch den Zustand der deutschen Gesellschaft. Der Krieg, der an den Fronten getobt hatte, hörte mit dem Friedensschluss nicht auf, sondern drang mitten in die Städte und Straßen, in Familien und Freundeskreise.

Auf dem "Nachhauseweg", so der Titel eines Blattes aus der Mappe "Die Hölle", 1919 im Verlag J.B. Neumann erschienen, trifft Beckmann auf Kriegskrüppel und monströse Soldaten. "Die Nacht", so der Titel einer weiteren Lithografie, zeigt eine bestialische Folterszene. Die Welt ist aus den Fugen, Gewalt regiert die Straße - etwa auch im Blatt "Das Martyrium", das sich auf die Misshandlung und Ermordung Rosa Luxemburgs im Hotel Eden bezieht. Grimassierende Freicorps-Soldaten wüten, Vertreter der bürgerlichen Elite grinsen zufrieden. Beckmann lässt keine Illusionen und Idyllen zu, seine Welt ist so roh und hässlich wie die Protagonisten seiner Grafiken.

Exzellente Technik, ein expressiver, aggressiver Geist und die Gabe, Ereignisse und Szenen extrem zu verdichten, kommen hier zusammen: Beckmann gelingt es, klaustrophobe Räume entstehen zu lassen und Bühnen, auf denen der Mensch schutzlos wie am Pranger der gaffenden Menge präsentiert wird. Vor dem Krieg war Beckmann in Berlin ein Star, sehr gut im Geschäft, ein in Großformaten arbeitender, moderner Historienmaler. Nach dem Krieg galt es nun, sich selbst wieder neu zu erfinden. Das kann man mit Spannung in den Mappen verfolgen.

Zum Beispiel in der Reihe "Gesichter", 1919 im Münchner Piper-Verlag mit der Maßgabe erschienen, Beckmann möge die Kriegsthematik nicht in den Vordergrund stellen. Das tat er zwar, indem er nur ein Blatt mit einer bedrückenden Lazarettszene in die Mappe nahm, aber sonst erzählen fast alle übrigen Blätter - bis hin zur apokalyptischen "Auferstehung" - vom Schicksal entwurzelter Menschen. Einige Protagonisten trifft man im Zyklus "Der Jahrmarkt" (1921) wieder, den Padberg sehr originell mit Zirkusfotografien August Sanders koppelt.

Das Leben der Schausteller in Beckmanns Mappe entbehrt jeder Leichtigkeit. Bezeichnend, wie ein deutlich als Beckmann erkennbarer "großer Mann" in Badehose von einem Clown auf einer Bühne vor die johlende Menge gezerrt wird. Die Schau endet mit Beckmanns Zyklus "Berliner Reise" (1922), der mit viel Biss analysiert, wie Menschen in der Weimarer Republik auf den neuen Zeitgeist reagierten: die Deutschnationalen und linken Intellektuellen, die Bettler und Tagelöhner, die Theatergänger und Varieté-Besucher. Ein herrlich-böses Panoptikum der 20er Jahre.

August Macke Haus, Bornheimer Straße 96; bis 3. Mai. Di-Fr 14.30-18, Sa, So 11-17 Uhr. Eröffnung: heute, 18 Uhr. Katalog 25 Euro

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