Bonn im Roman Michael Mansfeld: "Bonn, Koblenzer Straße"

Eine dumpfe Provinzstadt, an manchen Frühlingstagen ganz hübsch. Eine Stadt, in der studiert wurde oder in der man seine Pension verlebte." So etwa liest sich die Beschreibung der Bundeshauptstadt in Michael Mansfelds "Bonn, Koblenzer Straße".

 1967, als Michael Mansfelds Roman "Bonn, Koblenzer Straße" erschien, traf sich das Bundeskabinett unter Leitung von Kurt Georg Kiesinger im Juli im Garten des Palais Schaumburg zu einer Sitzung.

1967, als Michael Mansfelds Roman "Bonn, Koblenzer Straße" erschien, traf sich das Bundeskabinett unter Leitung von Kurt Georg Kiesinger im Juli im Garten des Palais Schaumburg zu einer Sitzung.

Foto: dpa

In diesem Buch von 1967 taucht Bonn kaum wirklich auf - und ist dennoch ständig präsent. Nicht als Hauptfigur, nicht als Kulisse, sondern als Motto einer Ära. An der Koblenzer Straße (der heutigen Adenauerallee) residierte das Auswärtige Amt der jungen Bundesrepublik - und viele der dort Tätigen waren tiefer in die Machenschaften des alten Deutschland verstrickt, als sie zugaben.

Der Journalist Michael Mansfeld (1922-1979) hieß eigentlich Eckart Heinze und war nicht irgendwer: Mit Bernhard Wicki schrieb er das Drehbuch zu dessen legendärem Antikriegsfilm "Die Brücke" (1959). Mansfeld kannte sich aus mit dem Thema: Als Soldat kämpfte er in Italien, Frankreich und der Sowjetunion, wurde neunmal verwundet und 13 Mal ausgezeichnet, war in Gestapohaft und Kriegsgefangener der Russen.

Mansfeld fasst diese Erfahrungen in die Figur des Robert von Lenwitz. Nach schwerer Verwundung an der Ostfront bekommt der junge Offizier einen Job im Auswärtigen Amt an der Berliner Wilhelmstraße - und ist entsetzt darüber, wie sich die vermeintliche "Elite des Staates" mit dem braunen Terror gemein macht. Hohe und niedere Bürokraten beten die antisemitischen Propagandaphrasen nach, manche helfen gar aktiv mit, die Opfer in die Vernichtungslager zu deportieren. Als nach Ende der Barbarei das Auswärtige Amt in Bonn wiederaufersteht, wollen (fast) alle davon nichts mehr wissen, waschen sich gegenseitig die Westen rein, stilisieren sich und ihr Amt dreist zum "Hort des Widerstandes" hoch.

Viele große und kleine Figuren erscheinen mit verschlüsselten Namen - laut Mansfeld "nicht nur, um Lebende oder Tote zu schonen", sondern auch, weil er "kein Interesse an Prozessen" habe. Der Spiegel hat ein paar der Pseudonyme gelüftet; auf manche Lösung kommt der Leser aber auch selbst. Etwa ein General der Panzerarmee, im Buch gezeichnet als arrogant, eitel, führungsschwach und überschätzt. "Simmel" heißt er - wer mag das wohl sein?

Die Dramaturgie leidet

Spannend lesen sich vor allem die erzählenden Passagen: Wie Robert in Frankreich und Stalingrad kämpft; wie er von amerikanischen Gnaden zum Kurzzeit-Bürgermeister eines schwäbischen Dorfes wird; wie er sich mit Bardamen und Schiebern trifft; wie er sich in die Jüdin Ellen verliebt, die gerade noch aus dem NS-Staat fliehen kann und später im Geheimdienst der Amerikaner dient; wie er mit seinem charakterschwachen Vater diskutiert oder mit seiner farbig (wenn auch allzu edel) gezeichneten, regimekritischen Tante Alma.

Bisweilen hemmt Mansfelds aufklärerischer Furor leider etwas die Dramaturgie; dem Leser schwirrt der Kopf zwischen großen und kleinen Altnazis, Wiederaufbau und Wiederbewaffnung, Israel-Politik und EVG-Vertrag. Er kann das aber getrost ignorieren und dennoch mit Robert von Lenwitz Bilanz ziehen: "[Man wurde] am Rhein an die Worte des Bonner Studenten Heinrich Heine erinnert: “An den grünen Bergen seiner Ufer wächst die Torheit„."

Am Ende des Romans wandert Robert, entmutigt vom Kampf mit Windmühlenflügeln, passenderweise nach Spanien aus. Mansfelds Buch hat nie eine zweite Auflage erlebt; erst 28 Jahre später begann eine Historikerkommission die dunkle Geschichte der Diplomaten unter den Nazis aufzuarbeiten. Das 2010 veröffentlichte Ergebnis heißt "Das Amt und die Vergangenheit" und hat 880 Seiten. Wer sich die schwierige Studie ersparen will, erfährt die großen Linien auch aus Michael Mansfelds Buch.

Es ist eine anstrengende, oft frustrierende, aber erhellende Lektüre - sie zeigt, dass das Wort "Bonn" nicht nur eine Chiffre für Demokratie war, sondern auch für viel Verdrängung.

Michael Mansfeld: Bonn, Koblenzer Straße. Verlag Kurt Desch, München 1967. 488 S., derzeit nur antiquarisch erhältlich, ab 4 Euro.

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