Klaus Harpprecht liest im Kanzlerbungalow Der Charme der Bonner Republik

Ich war immer leidenschaftlich für Bonn", gesteht Klaus Harpprecht, das ihm ganz anders vorkam, als das "wilhelminisch aufgeblasene Berlin". Das sagt ein gebürtiger Stuttgarter, der bei "Christ und Welt" und beim RIAS in Berlin seine ersten journalistischen Schritte tat, erster ZDF-Korrespondent in Washington war, Verlagsleiter in Frankfurt und Willy Brandts Berater und Redenschreiber von 1972 bis 1974 in Bonn.

 Erinnerungskultur: Klaus Harpprecht (rechts) spricht mit Marko Martin.

Erinnerungskultur: Klaus Harpprecht (rechts) spricht mit Marko Martin.

Dass die Hauptstadt-Entscheidung im Juni 1991 knapp für Berlin ausfiel, kann Harpprecht nicht nachvollziehen. "Alle internationalen Gäste haben sich im rheinischen Westen wohlgefühlt", sagte der 88-Jährige am Dienstagabend in Ludwig Erhards Bundeskanzlerbungalow, von dem Harpprecht schrieb: "Man verstand nicht, wie sich Adenauers Nachfolger, eher eine mollig-barocke Figur, in dieser kühlen Glas- und Betonkiste wohlfühlen konnte."

Harpprecht aber fühlte sich dort sichtlich wohl und mit ihm ein Publikum, dass auf Einladung des Salonfestivals Passagen aus seinen wunderbaren Erinnerungen "Schräges Licht" und weiteren scharfsinnigen Beobachtungen des streitbaren Publizisten lauschte. Berlins Regierender Walter Momper habe Harpprecht wegen seiner Bonn-Neigung in einer TV-Diskussion "angeblafft": "Sind sie überhaupt ein Deutscher?" Harpprecht darauf: "Jawoll, Herr Stadtkommandant!". Harpprecht bleibt dabei: "Es ist eine biedermeierliche Kleinstadt, aber Bonn hat ein bescheidenes Deutschland repräsentiert, das beste Deutschland, das es in der Geschichte gegeben hat."

Dann sprach er über Angela Merkel. "Sie ist nicht so schlimm, wie eine Pastorentochter sein könnte", urteilte der Pastorensohn Harpprecht. Richtig in Fahrt kam er aber, als die Sprache auf Günter Grass kam. Sichtlich genervt vom "Großpädagogentum" des Autors, der darunter gelitten habe, nach der "Blechtrommel" kein so bedeutendes Werk mehr geschaffen zu haben, erzählte Harpprecht von der Zeit, als Grass für Brandts SPD arbeitete. "Grass hat zu oft den Zeigefinger gehoben", sagte er, "und der ist gewachsen und gewachsen, nur nicht die intellektuellen Fähigkeiten." Grass, so Harpprecht weiter, "hielt sich für den moralischen Vorsteher - um nicht zu sagen: Führer - der Deutschen, was Willy Brandt manchmal auf die Nerven ging."

An dem von dem Autor Marko Martin moderierten Abend las Harpprecht aus "Schräges Licht" Passagen, die seine Anfänge in Bonn beleuchteten, als er sich als mit Artikeln für "Christ und Welt", den "Trierischen Volksfreund" und die "Hamburger Morgenpost" und mit Werbung für Maggi-Suppen und Blendax-Zahnpasta durchschlug. Bei Rix Löwenthal lernte er den West-Berliner Abgeordneten Willy Brandt kennen, "ein gut aussehender Mann mit einem guten Kopf und einem freien Lächeln". "Aus Brandts Untertönen glaubte ich herauszuhören, dass ihm der Westkurs des 'Alten von Röhndorf' nicht völlig fern lag", las Harpprecht und bemerkte eine Distanz zur übrigen SPD. In seinem Buch schreibt er auch von der Begegnung mit dem SPD-Vordenker Carlo Schmid, der in seinem Bonner Literaturkreis "Faust II" las und Harrprecht mit hinzubat, "und ich war ihm damals dankbar, dass er so sichtbar bezeugte, in Bonn sei nicht nur die Politik, sondern auch die Kultur zu Hause".

Klaus Harpprecht: Schräges Licht. Erinnerungen ans Überleben und Leben. S. Fischer Verlag, 560 S., 26,99 Euro.

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