Beethovenfest Da brennt die Hütte

Bonn · Ein vor gut zwei Jahren entstandenes Film-Porträt über den lettischen Dirigenten Andris Nelsons hat den hübschen Titel "Genius on Fire".

Das lässt sich schwer ins Deutsche übersetzen; statt "Genie in Flammen" würde man hier wahrscheinlich ein anderes Bild gebrauchen: Genie unter Starkstrom. Wie auch immer: Der 35-jährige Nelsons ist der Ausdrucksmusiker schlechthin, ein Energiebündel am Pult. Zu welchen musikalischen Ergebnissen ein solcher Einsatz führt, erfährt man jetzt beim Beethovenfest. An vier Abenden präsentiert Nelsons zusammen mit dem City of Birmingham Symphony Orchestra die neun Sinfonien Beethovens.

Der zweite Abend in der Beethovenhalle mit den Sinfonien 4 und 5 war ebenso kurz wie eindringlich. Nelsons mag keine halben Sachen, bei ihm gilt immer: ganz oder gar nicht. Da ist jeder Ton mit Emotion aufgeladen. Das beginnt schon in der Einleitung zur vermeintlich spielerisch leichten vierten Sinfonie. Nelsons nimmt sie extrem langsam, mit einem bedrohlichen, fast unheimlichen Unterton - der kraftvolle Schwung des folgenden Allegros wirkt dadurch umso kontrastreicher.

Man darf von diesem Dirigenten und seinem begeistert mitgehenden Orchester keine umwerfend neue Sicht auf Beethoven erwarten, wohl aber eine sehr persönliche Stellungnahme. Nelsons' Interpretationen sind im allerbesten Sinne konservativ, sie stehen, wenn man so will, näher bei Furtwängler als etwa bei Paavo Järvi. Auf jeden Fall freilich konfrontieren sie den Zuhörer mit dem Mut zu extremen Gefühlen, man hört Musik fernab jeder Konzertsaal-Routine.

Das City of Birmingham Symphony Orchestra lebt von dieser unwiderstehlichen Sturm-und-Drang-Mentalität seines Dirigenten, die auch über Momente hinweghilft, die nicht von letzter spielerischer Klasse geprägt sind. Im Gegensatz zur vierten erschien dabei die fünfte Sinfonie wie aus einem Guss: vom unglaublich vorwärtsdrängenden, atemlosen Beginn - mit den kürzesten Fermaten, die man sich bei Beethoven denken kann - bis zum überschäumenden Finale. Wäre man bei einem Pop-Konzert, würde man sagen: Da brennt die Hütte (was zum "Genius of Fire" ja ziemlich gut passt). Großer Jubel im Publikum.

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