Bildband "Die besten TV-Serien" Bildschirm schlägt Leinwand

Früher verbreiteten Fernsehserien bräsige Gemütlichkeit à la "Bonanza" oder "Die Waltons". Im Wohlfühlpaket des Pantoffelkinos inklusive: ein gusseisernes Familienbild ohne jeden Kratzer. Das böse Gegenteil war dem großen Kino vorbehalten, wo Regisseure wie David Lynch selbstverständlich Kleinstadtidyllen horrend infiltrierten ("Blue Velvet").

 Serien-Meilenstein "Das Geheimnis von Twin Peaks" mit Sheryl Lee als schöner Leiche.

Serien-Meilenstein "Das Geheimnis von Twin Peaks" mit Sheryl Lee als schöner Leiche.

Foto: TASCHEN

Doch als Lynch 1990 seine suggestive Albtraumästhetik in die TV-Serie "Das Geheimnis von Twin Peaks" verpflanzte, änderte dies alles. Die Unterwelt schillerte hier genauso unheimlich durch das Provinzidyll wie auf der großen Leinwand, und seither sind eine Menge düsterer, sarkastischer und verstörender Serientäter unterwegs.

Buch stellt einschlägige Favoriten aus 25 Jahren vor

Für den Taschen-Verlag zeichnet Jürgen Müller diesen Kulturwandel in seinem ebenso intelligent geschriebenen wie grandios bebilderten Buch "Die besten TV-Serien" nach, das einschlägige Favoriten aus 25 Jahren vorstellt. Es beginnt mit der dysfunktionalen "Simpson"-Familie, in der das vertrottelte "Oberhaupt" Homer über einen unerbittlichen Überforderungsparcours stolpert. Da bröckeln die alten Rollenbilder schon mächtig. Und dass ein Chemielehrer zum Drogenbaron mutiert wie Walter White in "Breaking Bad", wäre früher ebenfalls kaum auf Gegenliebe harmoniesüchtiger Fernsehredakteure gestoßen.

Zumal sich hier auch alte Erzählmuster auflösen: Statt abgeschlossener Episoden sieht man ein irritierendes Ganzes, dessen Leitmotive nur versteht, wer stets dabei bleibt. Und statt zu platter Identifikation wird man eher zu gemischten Gefühlen eingeladen, wie sie ja auch der mittelständische Mafioso Tony (James Gandolfini) in den "Sopranos" auslöste. Müller analysiert das besondere Faszinosum jeder einzelnen Produktion, von den frechen Frauenserien wie "Sex and the City" und "Desperate Housewives" bis zu den ungeschönt-authentischen Polizeistudien "The Shield" oder "The Wire". Natürlich dürfen Quotenkönige wie "CSI" nicht fehlen, für das sogar Regierebell Quentin Tarantino eine Doppelfolge inszenierte. Wie sich ja überhaupt die radikale, rasante Bildsprache des Kinos längst auch auf dem Bildschirm durchgesetzt hat.

US-Serien dominieren

Dem Band geht es nicht um Vollständigkeit, sondern um Exzellenz. Dass Anwältin "Ally McBeal", der detektivische "Dr. House" und der tödliche Gerichtsmediziner "Dexter" in diesen Pantheon gehören, dürfte kaum jemand bestreiten. Bei "Boardwalk Empire'" sieht das schon anders aus, da wären die "Peaky Blinders" die besser Wahl gewesen. Die USA dominieren wohl auch, weil Produzenten wie HBO oder AMC die Zeiten der Zeit früh erkannt haben. So entstanden revolutionäre Formate wie "24" oder "Homeland", die ein nach 9/11 verunsichertes Amerika zum Blick in den Spiegel zwangen. Dank ambitionierter Serien macht das Fernsehen heute Stars (Kristen Bell aus "Veronica Mars"), wie es einst nur Hollywood vermochte. Oder es mehrt den Ruhm bekannter Kinogrößen. So zu sehen bei Kevin Spacey, der in "House of Cards" als eiskalter Karrierist brilliert.

Von Beerdigungsunternehmern bis zu Werbeprofis

("Mad Men") sind heute beinahe alle Berufsgruppen serienfähig. Doch wie auch die klassischen Arbeitsfelder umgepflügt werden können, zeigt "True Detective": Woody Harrelson und Matthew McConaughey bildeten vor irrlichternder Depressionskulisse eines der besten Cop-Gespanne aller Zeiten. Der Band könnte bald fortgesetzt werden, denn auch formatsprengenden Regisseuren wie den Wachowskis ("Matrix", "Cloud Atlas") genügt die Leinwand nicht mehr. Für Netflix durften sie mit "Sense 8" ein weltumspannendes Mystery-Netz spinnen, das mit 630 Minuten Dauer keine Kinochance hätte.

Jürgen Müller (Hg.): Die besten TV-Serien. Taschen Verlag, 745 S., 49,99 Euro

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