"Ricki - Wie Familie so ist" Außerirdische rockt das Wohlstands-Ghetto

Meryl Streep ist eine der größten Verwandlungskünstlerinnen des Kinos, und ihre Meisterschaft zeigt sich darin, dass man ihre Figuren auch in den abwegigsten und schrillsten Outfits schon innerhalb weniger Filmminuten ernstnimmt.

 Sie rocken: Meryl Streep und Rick Springfield.

Sie rocken: Meryl Streep und Rick Springfield.

Foto: DPA

Ob als Fashion-Queen in wechselnder Designer-Trikotage ("Der Teufel trägt Prada"), mit okkulter Haarfestiger-Frisur in der Rolle Margaret Thatchers ("Die eiserne Lady"), als heruntergekommene, krebskranke Mutterfurie ("Im August in Osage County") oder mit langen Fingernägeln als furchterregende Hexe ("Into The Woods") - auf geradezu organische Weise verschmilzt Streep mit dem exzentrischen Äußeren ihrer Figuren und verleiht auch extremen Charakteren eine glaubwürdige Selbstverständlichkeit.

In Jonathan Demmes "Ricki", in dem sie eine in die Jahre gekommene Rocksängerin spielt, ist das nicht anders. Mit hochhackigen Stiefeletten, knallenger, schwarzer Lederjacke, dick aufgetragenem, blauem Lidschatten und einer Frisur, die auf der rechten Seite an Bo Derek und auf der linken an Kim Wilde erinnert, stolziert sie durch ihr prekäres Musikerdasein.

Das erste Album von "Ricki and the Flash" blieb das einzige und gehört noch dem Vinyl-Zeitalter an. Heute spielt die Band in einer Provinz-Bar und verfügt über eine sehr übersichtliche, aber treue Fangemeinde.

Dann jedoch kommt ein Anruf, der sie in ein ganz anderes Leben zurückholt. Vor vielen, vielen Jahren hieß Ricki nämlich noch Linda und lebte im Mittleren Westen als ordentliche Mittelstandsmutti - bis sie den arbeitssüchtigen Mann mit den drei Kindern sitzen ließ und dem Ruf von Ruhm und Rock 'n' Roll nach L.A. folgte.

Faible für familiäre Störenfriede

Die inzwischen erwachsenen Kinder sind auf ihre Mutter nicht gut zu sprechen. Trotzdem ruft Ex-Mann Pete (Kevin Kline) sie zu Hilfe, als Tochter Julie (Maime Gummer) nach der Trennung von ihrem Ehemann einen Selbstmordversuch unternimmt.

Wie schon in "Rachels Hochzeit", in dem Anne Hathaway als drogensüchtiges Enfant Terrible die schwesterlichen Trauungsfeierlichkeiten aufmischte, beweist Jonathan Demme in "Ricki" erneut sein Faible für familiäre Störenfriede. Wie eine Außerirdische wirkt Streeps Rocklady im gut situierten Wohlstandsghetto, in dem ihr Ex-Mann sich eine neue Familienexistenz aufgebaut hat.

Obwohl Ricki unbestritten die ganze Sympathie des Films gehört, werden die Narben und Verletzungen, die ihr radikaler Bruch mit dem Establishment bei Mann und Kindern hinterlassen hat, deutlich sichtbar. Aber Demmes Familiendrama nach dem Drehbuch von Diablo Cody ("Juno") wird weder zum Schlachtfest noch zur Versöhnungsorgie.

In moderater und humorvoller Tonlage werden hier Rickis verdrängte Gewissensbisse genauso verhandelt wie die ritualisierten Schuldzuweisungen der Kinder, ohne dass die Konflikte bis auf die Knochen abgenagt werden müssen. Kinopolis, Stern

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