Grüne Spielstadt in Dransdorf Anton Tschechows "Möwe": Sommernachts-Albtraum

DRANSDORF · Gummistiefel und regenfeste Kleidung waren beim Publikum wie beim Schauspiel-Ensemble angesagt bei der Premiere in der sommerlichen Außenspielstätte der Brotfabrik Bühne.

 Dransdorfer Seelenlandschaft: Szene aus der "Möwe". Repro: GA

Dransdorfer Seelenlandschaft: Szene aus der "Möwe". Repro: GA

In der grünen Spielstadt auf dem Dransdorfer Feld präsentieren sie in Zusammenarbeit mit dem "Volkstheater" im Rahmen des Projektes "Kunst ohne Strom" Tschechows "Möwe" - in freier Natur, allen Wetterkapriolen zum Trotz.

Wer den Weg zum Schauplatz gefunden hat, ist gleich Teilnehmer der Aufführung, also Gast auf dem Landgut der Familie Sorin in der tiefsten russischen Provinz. Der junge Dichter Konstantin Treplev läuft ziemlich nervös im Garten herum, wo sein neues Stück das Licht der Welt erblicken soll.

Vor allem soll es seine Mutter, die berühmte Schauspielerin Irina Nikolajewna Arkadina, beeindrucken, die mit ihrem Liebhaber, dem ebenso berühmten Schriftsteller Boris Alexejevitsch Trigorin, auf dem Anwesen ihres Bruders ihren Geburtstag feiert. Außerdem ist Kostja unsterblich verliebt in Nina Zaretschnaja, Tochter eines benachbarten Gutsbesitzers, die in seinem Werk die Hauptrolle spielen wird.

Eigentlich die einzige Rolle, denn sein Drama scheitert schon kurz nach dem Anfang eklatant. Nicht am Platzregen, dem zwei reizende Landmädel (Olivia Gajetzki und Eva-Maria Geese) mit kostenlosem Wodka, Gürkchen und lustigem Akzent tapfer entgegenwirken und das Publikum durch den verwunschenen Park treiben. Auf einer Lichtung trainiert Nina mit Kostja für den großen Auftritt, während irgendwo im Gebüsch die Arkadina mit ihrem Trigorin turtelt.

Regisseur Volker Maria Engel schickt die Zuschauer auf eine Wanderung durch einen Sommernachts-Albtraum, in dem die Liebe herumirrt und mit stupender Sicherheit das falsche Ziel trifft. Er konzentriert sich dabei auf die vier Hauptfiguren. Alle sind Lebenskomödianten in dem Stück, mit dem Anton Tschechow bei der Uraufführung 1896 in St. Petersburg einen Riesenmisserfolg erlebte und zwei Jahre später in Moskau seinen Durchbruch als Bühnenautor.

Martin Bross spielt den eitlen Literaten Trigorin mit leiser Melancholie. Ergeben erträgt er die Launen der Arkadina. Petra Kalkutschke gibt zwischen Hysterie und eiserner Disziplin die elegante Bühnenkünstlerin, für die das Leben selbst immer auch Theater ist.

Die literarischen Elaborate ihres Sprösslings findet sie reichlich "dekadent". Nikolai Knackmuss lässt seinen Kostja vor Begeisterung für eine neue Dramatik geradezu glühen und nach mütterlicher Zuwendung fiebern. Ein aufbrausender Kindskopf, der zur Pistole greift, wenn die Welt ihm die Anerkennung versagt. Die naive Nina verfällt dem angebeteten Trigorin, obwohl sie weiß, dass sie nur eine Fußnote in seinem Sprachkosmos bleiben wird.

Kathrin Marder verkörpert das Unglück mit solch unwiderstehlich hellem Ernst, dass selbst die Sonne einen Moment lang die Wolken stoppt und ihrer flügellahmen Möwe einen Anschein von Himmelsblau gönnt, bevor sie in den Abgrund flattert. Als treuer Diener Jakov sorgt Thomas Koll mit seinem Akkordeon für die Musik zu den amourösen Verwirrungen, die indes nur der Vordergrund sind für das tiefe Leiden aller an sich selbst (Dramaturgie und Ausstattung: Sandra Van Slooten).

Und so quälen sie sich mit Worten und dem uneingestandenen Wissen um ihre Bedeutungslosigkeit. Während die Hausangestellten ein trauriges englisches Lied anstimmen, fällt irgendwo im Gebüsch der finale Schuss: Der Zug ist abgefahren: "You can hear the whistle blow one hundred miles..."

Info

Nächste Vorstellungen am 22./23./24. August, jeweils 19 Uhr. Weitere Aufführungen bis zum 6. September. brotfabrik-theater.de

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