Sinfonien-Zyklus Alles lebt in dieser Interpretation

Bonn · Andris Nelsons und das City of Birmingham Symphony Orchestra mit der Pastorale und der Siebten.

 Leidenschaft für Beethoven: Andris Nelsons dirigiert das City of Birmingham Symphony Orchestra.

Leidenschaft für Beethoven: Andris Nelsons dirigiert das City of Birmingham Symphony Orchestra.

Foto: Barbara Frommann

Mit Beethoven verbindet den Dirigenten Andris Nelsons ein ganz besonderes Schlüsselerlebnis. Es war nämlich die erste Sinfonie des Komponisten, die auf dem Pult lag, als der 16-jährige Musikstudent aus heiterem Himmel die Chance erhielt, sich zum ersten Mal vor ein Orchester zu stellen. Eigentlich war er ja mit der Trompete und nicht mit dem Taktstock zur Probe des Hochschulorchesters seiner Heimatstadt Riga gekommen, erzählte er dem General-Anzeiger einmal im Interview. Aber als der Dirigent fehlte, war es der junge Nelsons es, der sagte: "Hey, lasst uns trotzdem proben." Die Arbeit mit den Kommilitonen nahm offenbar einen sehr erfreulichen Verlauf. "Von diesem Moment an wusste ich, dass vor dem Orchester der Ort ist, an dem ich mich als Musiker am wohlsten fühle", sagte Nelsons.

Fast zwanzig Jahre später steht er nun als Chef des City of Birmingham Symphony Orchestra (CBSO) in Beethovens Geburtsstadt auf dem Podium und dirigiert einen Zyklus mit allen neun Sinfonien Beethovens. So sehen Traumkarrieren aus. Wobei die seine noch längst nicht ihre Spitze erreicht haben dürfte. Es gibt derzeit wohl kein Orchester auf dieser Welt, das nicht mit ihm zusammenarbeiten möchte.

In der Beethovenhalle erlebt man in diesen Tagen einen Dirigenten, der noch nichts von seiner ursprünglichen jugendlichen Neugier und Leidenschaft eingebüßt hat. Dass Nelsons sich kompromisslos seiner Arbeit ausliefert, zeigte sich auch am dritten Abend des Zyklus, an dem die sechste Sinfonie - die sogenannte "Pastorale" - und die siebte Sinfonie auf dem Programm standen, zwei überaus gegensätzliche Werke, was Nelsons in seinen Interpretationen deutlich unterstrich. Die sechste mit ihren plastischen Naturschilderungen war vor und nach dem Gewitter sozusagen klingende Idylle. Alles lebt in dieser Interpretation, selbst die 72-fache Motivwiederholung in der Durchführung des ersten Satzes, ohne dass Nelsons diese Episode dafür effektvoll dramatisieren müsste. Der Dirigent kennt die Partitur und kann seinem Gespür für die musikalischen Entwicklungen und Verläufe vertrauen.

Dabei sind ihm die Musiker des CBSO ganz wunderbare Assistenten. Der weiche, kompakte Streicherklang macht den Eröffnungssatz ebenso zu einem Erlebnis wie die zarten Holzbläserstimmen. Dass sie auch anders können, zeigte sich vor allem natürlich in der Gewitterszene, die wuchtig und wirkungsvoll in Szene gesetzt wurde, ohne zu lärmen. Schon dafür gab es großen Applaus, der sich nach der siebten Sinfonie schließlich in spontane stehende Ovationen steigerte. Natürlich hat Beethoven gerade dieser Sinfonie schon kompositorisch so viel Schwung mit auf den Weg gegeben, der den Musikern sozusagen in die Hände spielt. Aber diese Interpretation hatte es in sich. Packend war schon die langsame Einleitung, die sich in ein mitreißendes Allegro entlud, an dessen Ende die musikalische Spannung fast greifbar wurde.

Die feinen Linien des Trauermarsches, der in der siebten Sinfonie im Unterschied zur dritten hörbar keine Heroen-Verehrung mehr ist, wurde ganz wunderbar aufgelichtet. Der Rest der Sinfonie ist über weite Strecken pure Raserei. Das Orchester warf sich unter Nelsons körperbetonter und temperamentvoller Leitung regelrecht in diese Musik hinein. Der letzte Satz wurde so zu einem nicht nachlassenden Spurt. Beethoven verlangt hier von den Musikern das Äußerste, was die des CBSO auch bereit waren zu geben. Der Dank dafür in den Reihen der fast ausverkauften Beethovenhalle artikulierte sich entsprechend.

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