Malteserkrankenhaus Projekt bietet Trauerarbeit speziell für Jugendliche

MEDINGHOVEN · Wenn Laurin an die Zeit mit seiner kleinen Schwester zurückdenkt, dann fällt ihm ein Zelt ein. Ein kleines Diskozelt auf einem Campingplatz in Italien. "Da haben wir abends immer getanzt", sagt Laurin. Naja, Tanzen sei vielleicht das falsche Wort, Helen, so hieß Laurins Schwester, war eigentlich noch ein Krabbelkind.

 Eines der Kinder hat in der letzten Sitzung des Trauertreffs Herzchen und das Wort "Papa" in ein Bonbon aus Ton geritzt. Der Vater aß gerne Süßigkeiten.

Eines der Kinder hat in der letzten Sitzung des Trauertreffs Herzchen und das Wort "Papa" in ein Bonbon aus Ton geritzt. Der Vater aß gerne Süßigkeiten.

Foto: Volker Lannert

Wenn der neunjährige Laurin an die Zeit mit seiner kleinen Schwester Helen zurückdenkt, dann fällt ihm auch noch eine Schaukel ein. Die Schaukel, die noch immer im Garten hinterm Haus der Familie steht. Manchmal setzt sich Laurin noch drauf und schaukelt ein wenig. Alleine.

"Wir haben abends oft auf ihr geschaukelt. Jetzt fehlt mir was", sagt Laurin. "Ich habe mir immer eine kleine Schwester gewünscht, ich wollte nicht der Kleinste sein." Lange konnte Laurin sich nicht über Helen freuen. Sie starb, als sie anderthalb Jahre alt war. Laurin konnte danach nicht mehr einschlafen.

Seine Mutter meldete ihn bei "Trau dich trauern" an, einem regional einzigartigen Projekt im Malteser-Krankenhaus Bonn/Rhein-Sieg, das auch Trauerarbeit speziell für Kinder und Jugendliche bietet. Laurins großer Bruder Jannis (14) ging gleich mit. "Damit er nicht so alleine ist", sagt Jannis.

Jetzt liegen die beiden Brüder mit drei weiteren Kindern auf dicken Kissen in einem Nebengebäude des Krankenhauses auf einem roten Teppichboden. Der Raum ist groß, leer, still und schmucklos. Durch große Fenster fällt der Blick auf rote Kiefernstämme in schorfigen Schneeresten, über denen der Frühling zaghaft erste blaue Bänder flattern lässt. Auf einem Tisch steht das kleine Diskozelt vom italienischen Zeltplatz, modelliert aus rotem Ton.

Daneben eine Tonscheibe, eingeritzt die Schaukel, auf der Laurin und Helen immer saßen, Jannis hat die Initialen seiner kleinen Schwester darunter eingeritzt. Eine Uhr tickt. Marita Lammertz nimmt die Kinder und Jugendlichen mit auf eine Reise. Sie will sie an einen Ort führen, an dem sie Kraft tanken können, um mit dem Verlust, den sie erlitten haben, umgehen zu können.

Fantasiereise nennt sich die meditative Übung. Wie dicke Tropfen fallen die Sätze schwer in die Stille. "Du selbst führst Regie auf deiner Reise", sagt Lammertz. Sie lässt die Gruppe atmen. Ein. Aus. "Die Luft hat eine Farbe", sagt Lammertz. Nach der Übung wird sie die Kinder auffordern, den Ort zu malen, den sie in ihrer Fantasie besucht haben. Laurin wird das Meer malen, mit viel blauem Wasser und einer großen orangen Sonne. Ein Strand in Italien.

Seit dem Jahr 2005 gibt es das Projekt "Trau dich trauern", ins Leben gerufen wurde es in enger Zusammenarbeit mit dem Zentrum für Palliativmedizin. Das Team um die Diplom-Sozialarbeiterin Ursula Füllbier hatte bei der Trauerarbeit mit Erwachsenen immer wieder die Erfahrung gemacht, dass die Trauerarbeit für die Kinder nebenher mitlief.

"Aber dafür braucht man spezielles Wissen", sagt Füllbier. Denn Kinder würden anders trauern. Wegen der Eltern oft im Verborgenen. "Sie wollen den Erwartungen entsprechen. Und wenn sie Trauer zeigen, haben sie oft das Gefühl, dass sie das Drama noch verschlimmern und die Eltern zusätzlich belasten", sagt Lammertz.

Im Malteser-Krankenhaus dürfen sich die Kinder trauen zu trauern. So wie Laurin, der vor Traurigkeit nicht mehr einschlafen konnte. "Ich bin oft traurig und weiß manchmal nicht, warum", sagt er. Er sitzt neben seinem Bruder und versucht, das schwer Fassbare in Worte zu fassen. Wie die beiden Brüder da sitzen, halblange Locken, still der jüngere, etwas forscher der große Bruder, erinnern sie an Jonathan und Krümel, die "Brüder Löwenherz" aus Astrid Lindgrens Geschichte über Kinder und den Tod.

Nur dass der Tod für sie keine Kindergeschichte blieb. Die Erfahrung von Sinnlosigkeit, Leere, Endlichkeit- Laurin fasst sie so zusammen: "Ich habe gedacht, das Leben wäre langweilig. Und dass nichts mehr passiert." Doch das Sprechen über den Verlust, das hat den Brüdern geholfen. "Man sieht, dass andere das auch erlebt haben", sagt Laurin. "Man fühlt sich nicht mehr so traurig", sagt Jannis. "Und Laurin schläft wieder besser."

Sara (13) ist traurig, dass der Kurs vorbei ist. "Er hat mir sehr geholfen, mir geht es besser", sagt sie. Ihr Vater starb im September an Krebs, 53 Jahre war er alt, ein Italiener. "Diese Gruppe hat mir sehr geholfen, über meine Gefühle nachzudenken", sagt Sara. Während sie bei den Eltern oft schweigen, "in der Gruppe lassen die Kinder los", sagt Lammertz.

Trauer, die nicht bewältigt werde, "somatisiere", mache krank. Ab 6 Jahren könnten die Kinder in die Gruppe kommen. Sieben Mal freitagnachmittags trifft sich die Gruppe. Und heute ist das letzte Treffen. Lammertz hat ein großes Glas mitgebracht, in dem bunte Glassteine liegen. "Was glaubt ihr denn, wie viele Steine das hier sind?", fragt sie. Achselzucken, Zahlen werden genannt. Doch auch Lammertz bleibt die genaue Zahl schuldig.

"Aber es sind über 200 Steine. Und auf jedem steht ein Name. Von Kindern oder Jugendlichen, die hier teilgenommen haben." Auch die Kinder können sich einen Stein aussuchen, ihren Namen draufschreiben und ihn dann ins Glas werfen. Jannis flitscht den Stein hoch und fängt ihn auf. "Ich hätte gedacht, da sind so ungefähr 112 drin." Dann schmeißt er den Stein klackernd in das Glas.

Weitere Infomationen unter www.traudichtrauern.de.

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