Maltester Krankenhaus Bonn Palliativstationen bieten Beistand auf der letzten Reise

BONN · Wenige Tage vor seinem Tod kaufte sich Hannes K. eine Uhr. Eine Armbanduhr von Junkers, stolz zeigte er sie am Frühstückstisch. Kurz zuvor hatte er ein ähnliches Modell gesehen. Das gefiel ihm so gut, dass er auch eine Junkers-Uhr haben wollte.

 Hannes K. mit seiner Ehefrau im Wohnzimmer des gemeinsamen Hauses. Das Bild ist bewusst im Gegenlicht aufgenommen, um den Sterbenskranken nicht erkennbar zu machen.

Hannes K. mit seiner Ehefrau im Wohnzimmer des gemeinsamen Hauses. Das Bild ist bewusst im Gegenlicht aufgenommen, um den Sterbenskranken nicht erkennbar zu machen.

Foto: Lannert

Hannes K. wusste, dass er nur noch kurze Zeit zu leben hatte. Und dass er an seiner neuen Uhr nicht viel Freude haben würde. Viele andere Menschen hätten in seiner Situation anders gehandelt; die Uhr zu kaufen wäre ihnen nicht sinnvoll erschienen. Aber von den Zwängen des Zeckmäßigen ließ Hannes K. sich nicht unbedingt leiten. "Ich brauchte immer meine Freiheit", sagte er damals im GA-Gespräch. Und die wollte er sich auch nicht nehmen lassen, als er in den Rollstuhl musste.

Hannes K wurde 1958 am Niederrhein geboren, er hatte sieben Brüder und zwei Schwestern. Nach seiner Ausbildung zum Maschinenschlosser ging er mit 20 Jahren nach Nordafrika, arbeitete auf Siemens-Großbaustellen. "Das gefiel mir nicht." In Afrika packte ihn das Reisefieber. Und so begann er zu reisen. Elf Mal war er in Neuseeland, mit dem Rad fuhr er durch Australien und Südamerika, von Buenos Aires zu den Iguazú-Wasserfällen in Brasilien. Viele träumen davon, Hannes K. machte es. Einen Teil des Jahres arbeitete er, sonst reiste er.

Dann kam der 13. Juli 2012. "Ein Freitag", erinnerte sich Hannes. Da erfuhr der damals 54-Jährige, dass er Lungenkrebs hatte und Metastasen im ganzen Körper. "Das war ein Schlag ins Gesicht", Er saß ein gutes Jahr nach diesem Freitag in der Küche des Hauses, vor sich das neue Lieblingsfrühstück, Vollkornbrot mit selbst gemachter Himbeermarmelade, darauf eine Scheibe Käse. Katze Mimimi fraß schmatzend in der Ecke ihren Napf leer. Gemeinsam erinnerten sich Hannes und seine Ehefrau an jenen Freitag. "Wir waren zunächst voller Glauben, dass wir das hinkriegen". Der Glaube verließ Hannes nach etlichen Chemotherapien und Operationen. Nach einer OP am Kopf ein Jahr nach der Diagnose war er am Ende seiner Kräfte. "Da wäre ich fast hops gegangen, ich habe einfach nicht mehr gewollt."

Hannes, dem seine Freiheit immer so wichtig war, war ein Gefangener seiner Schmerzen, sein Tag fremdbestimmt von Visiten und ärztlichen Ratschlägen. Die Familie traf eine Entscheidung, Hannes ging auf die Palliativstation des Malteser Krankenhauses.

"Ich wollte wirklich nicht mehr kämpfen. Und dann kam doch tatsächlich diese Palliativstation. Die hat mich wieder aufgebaut", sagte Hannes K., und es klang erstaunt-amüsiert. Er gewann etwas zurück, was ihm immer wichtig war. "Es ist ein Rückgewinn von persönlicher Freiheit", sagte er, und sprach von seiner Großfamilie, die in der Küche der Palliativstation stand und kochte. Und dabei ordentlich Knoblauch verbrauchte. Er lachte. Mit der neu gewonnenen Freiheit kam der Lebensmut zurück.

"Ich habe so etwas wie diese Palliativstation noch nicht erlebt. Man kann nur froh sein, dass es das gibt", meinte Hannes' Ehefrau. Als es ihm besser ging wurde er nach Hause verlegt. Einmal in der Woche kam eine Ärztin, ungefähr jeden dritten Tag schaute Stefan Lange vom Ambulanten Palliativdienst des Krankenhauses herein, ein zurückhaltender Mann, der nicht nur die Medikation überwachte, sondern mit Hannes K. auch über das Sterben sprach. Dessen Augen saßen tief in der Höhle, er legte den Kopf in den Nacken, wenn die Schmerzen zu stark waren, und antwortete leise und heiser, wenn er es überhaupt schaffte, gegen die Müdigkeit anzusprechen.

Doch das ist nur die eine Seite. "Gestern gab es Kartoffelpüree mit brauner Soße, lecker", sagte Hannes. An einem anderen Tag machte er mit seinen Geschwistern "Endivie untereinander", ein Gericht, das Hannes seit seiner Kindheit am Niederrhein liebte. "Das bekommt man doch in keiner Krankenhausküche." Immer war jemand bei dem Kranken, die Stiefkinder, seine Ehefrau, Nachbarn, Bekannte und natürlich die Geschwister. "Es gibt hier viele liebevolle Momente, die es sonst so nicht geben könnte."

In guten Momenten erzählte er von seinem Leben, die Stimme voller Zuversicht. Er erzählte von der Braunschlange, die ihn in Australien biss. Zum Glück nur in den Schuh, sie gilt als eine der giftigsten Schlangen der Welt. "Ich hielt an, schlug sie tot und zog ihr die Haut ab", erzählte Hannes. Die Haut versteckte er in einem Didgeridoo und schmuggelte sie nach Deutschland.

Für viel Geld ließ er einen Rahmen anfertigen, um seinen Triumph über den Tod angemessen zu würdigen. Jetzt hing die Haut über seinem Krankenbett, von dem aus er durch große Panoramafenster in den Garten gucken konnte, in dem der Apfelbaum in diesem Jahr viele Früchte trägt. Die meisten musste die Familie diesmal verschenken. "Der Gedanke an den Tod, der ist natürlich da. Ich muss auch des Öfteren tagsüber weinen, klar."

Auf dem Weg zu seinem Krankenbett kam man an einem Foto vorbei, es zeigte das Ehepaar bei der Hochzeitsfeier im Sommer des letzten Jahres. "Wir haben nach der Diagnose geheiratet, als Ausdruck der Hoffnung, dass wir es gemeinsam schaffen wollen mit der Liebe", sagte Hannes' Ehefrau. Rechts davon hing ein weiteres Bild. Es zeigte Hannes, ungefähr ein Jahr vor der Hochzeit. Er saß auf seinem Fahrrad, soeben erreichte er die Spitze des Mont Ventoux, 1912 Meter hoch, mit einer durchschnittlichen Steigung von 7,5 Prozent. "Da war ich noch gefühlt gesund."

Dieses Foto stand bei der Trauerfeier neben der Urne. Wer noch sprechen konnte, schilderte Erinnerungen, so auch ein Bruder, der für "verrückte und verbotene" Augenblicke dankte. Der Pfarrer sagte, dass es doch eine Gnade sei, bis zuletzt im Kreis der Familie leben zu können.

Auf der Traueranzeige stand das Gedicht "Was es ist" von Erich Fried. Und ganz unten eine Bitte: Anstelle von Blumen bat die Familie um eine Spende. Zugunsten des Palliativdienstes des Malteser Krankenhauses.

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