Interview Ingrid Schickers-Both: "Wir wachsen auch an Konflikten"

Medinghoven · Im Interview spricht Ingrid Schnickers-Both über ihre ersten 100 Tage als Leiterin der Margot-Barnard-Realschule.

 Suchbild mit Lehrerin: Ingrid Schnickers-Both inmitten der Klasse 5 a.

Suchbild mit Lehrerin: Ingrid Schnickers-Both inmitten der Klasse 5 a.

Foto: Roland Kohls

Sie will eine Menge bewegen, andere begeistern und persönliche Kontakte pflegen. Seit dem neuen Schuljahr leitet Ingrid Schnickers-Both die dreizügige Margot-Barnard-Realschule an der René-Schickele-Straße. Es gibt 540 Schüler, etwa 40 Prozent sind ausländischer Herkunft, und 33 Lehrer. Nach 100 Tagen zieht die Niederkasselerin nun eine erste Bilanz. Mit ihr sprach Richard Bongartz.

Was hat sie von Rheidt nach Medinghoven geführt?
Ingrid Schnickers-Both: Ich wollte mich beruflich noch einmal verändern, und meine beiden Söhne sind jetzt erwachsen. Es ist reizvoll, mit meinen 31 Jahren Berufserfahrung eine Schule zu leiten. Ich fand das Schulprofil sehr interessant und hatte viel Positives über die Realschule gehört.

Was sind die Schwerpunkte an der Realschule?
Schnickers-Both: Die individuelle Förderung ist einer. Wir bemühen uns, jedes Kind zu fördern, auch innerhalb einer Klasse. So bieten wir unterschiedliche Materialien an, obwohl die Schüler nachher alle die zentrale Prüfung ablegen. Wir schauen auf die Stärken der Jugendlichen und auf das, was wir noch für sie tun können. Wir führen auch viele Elterngespräche und legen großen Wert auf respektvollen und wertschätzenden Umgang miteinander. Das gilt auch für das Lehrerkollegium. Hier geht es auch um das Thema soziales Lernen. Mobbing wird sofort geahndet.

Die individuelle Förderung hört sich ja schon fast wie Gesamtschule an...
Schnickers-Both: Unsere Schüler sind sehr unterschiedlich begabt. In ihrer Gesamtheit ist die Schülerschaft jedoch homogener als an einer Gesamtschule. Dennoch müssen wir den unterschiedlichen Begabungen Rechnung tragen.

Brauchen wir die Realschule überhaupt noch?
Schnickers-Both: Ich finde die Schulform super. Wir sind durchlässig und bieten variable Möglichkeiten: Viele Abgänger machen eine Ausbildung, viele aber auch erfolgreich das Abitur. Die Kinder mögen hier ebenso, dass unsere Schule nur dreizügig ist, und daher eine besonders familiäre und persönliche Atmosphäre bietet. Sie wissen genau, dass jeder sie kennt. Und ich bin ja auch ein Dorfkind, ich schätze überschaubare Verhältnisse.

Was muss man den Schülern heutzutage bieten?
Schnickers-Both: Moderne Themen. Wir versuchen, den Stoff in modernen Kontext einzubinden. Im Fach Musik etwa wird gerappt, in Englisch geht es beispielsweise um das Chatprogramm Whatsapp oder Mobbing. Wir haben zwei Computerräume und zwei Informatiklehrer. Die Schüler werden zu selbstständigem Teamlernern erzogen.

Und was geben die Schüler einem zurück?
Schnickers-Both: Ganz viel. Man bekommt sofort eine Rückmeldung. Das ist sehr befriedigend. Man sieht sofort, wenn die Schüler Spaß haben, zum Beispiel bei einer Präsentation. Aber wir wachsen auch an Konflikten.

Was sind die Probleme des Schulalltags?
Schnickers-Both: Es gibt hier ab und zu Mobbing: Kinder werden beschimpft oder ausgeschlossen. Da schreiten wir dann direkt ein und reden mit Schülern und Eltern. Je nachdem schalten wir noch unsere beiden Beratungslehrer oder bei härteren Fällen die Schulsozialarbeiterin mit ein. Dann haben wir noch Streitschlichter. Schlägereien habe ich aber noch keine erlebt.

Wie helfen die Eltern mit?
Schnickers-Both: Nicht nur beim Kuchenbacken. Die Eltern stehen in sehr regem Austausch mit den Kollegen und haben eine hohe Präsenz. Wenn etwas brennt, gibt es eine Rückmeldung. Die Eltern gestalten auch Konzepte mit, etwa bei der Förderung der Legasthenie.

Was macht Ihnen am Beruf am meisten Spaß?
Schnickers-Both: Die Begegnung mit den Kindern und Menschen jeden Tag. Ich bin eine Leidenschaftslehrerin. Ich freue mich, dass ich viel gestalten kann und mein Beruf mir diesen Gestaltungsfreiraum ermöglicht. Für mich ist das "die Schule mit Herz".

Wer ist die Namensgeberin Ihrer Schule?
Schnickers-Both: Ich habe Margot Barnard noch nie getroffen, würde sie aber gern mal kennenlernen. Sie ist 94 Jahre alt, Jüdin, stammt aus Beuel und lebt in London. Sie ist mit 16 Jahren nach Palästina ausgewandert. Ihre Eltern sind in Deutschland deportiert und ermordet worden. Sie besucht seit langem Schulen und macht sich stark für Akzeptanz und Toleranz. Das sind hochaktuelle Themen.

Wie geht es weiter?
Schnickers-Both: Wir öffnen uns noch mehr nach Europa. Wir haben bereits einen Austausch mit Polen und England und nun neu mit Frankreich. Teneriffa ist in der Warteschleife, und wir möchten ab dem nächsten Schuljahr Spanisch anbieten. Außerdem setzen wir unser Konzept "Vielfalt fördern" immer mehr im Schulalltag um und wenden uns noch stärker als bisher der Berufswahlorientierung zu.

Zur Person

Ingrid Schnickers-Both ist geboren und aufgewachsen in Marienbaum bei Xanten am Niederrhein. Sie ist verheiratet und hat zwei erwachsene Söhne. Die Familie wohnt nun in Niederkassel-Rheidt. Nach dem Abitur 1977 studierte sie Englisch und Musik in Bonn, ihr Referendariat machte sie in Hagen. Nach der ersten Stelle in Aachen arbeitete sie sechs Jahre lang an der Hauptschule an der Düne (heute Bertolt-Brecht-Gesamtschule).

Zuletzt war sie 13 Jahre lang Konrektorin an der Alfred-Delp-Realschule in Mondorf, eine NRW-Europaschule. Die 56-Jährige liebt lesen, kochen, die Natur und Kultur. Sie ist gerne mit ihrer Familie zusammen und würde am liebsten die ganze Welt bereisen.

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