Inklusion Eine ungewöhnliche WG

DUISDORF · Erst eine Runde "Mensch ärgere Dich nicht", dann vielleicht was kochen oder auf dem Zimmer fernsehen. Ein ganz gewöhnlicher Nachmittag in einer ungewöhnlichen Wohngemeinschaft. Am Duisdorfer Lilienweg setzt die "mlg Wohnen" mit Sitz in Rheindorf ganz auf Inklusion.

 Ina (links), Dorothea und Ingo spielen "Mensch ärgere Dich nicht".

Ina (links), Dorothea und Ingo spielen "Mensch ärgere Dich nicht".

Foto: Roland Kohls

Bei diesem neuen Projekt wohnen Behinderte und Nichtbehinderte unter einem Dach. "Wir befinden uns gerade in der Phase des Einlebens und Aneinandergewöhnens", sagt Sozialpädagoge Thomas Baumann, der mit einer Kollegin regelmäßig zur Betreuung vorbeikommt.

Seit März leben drei geistig Behinderte - zwei mit Down Syndrom und ein Autist - und zwei nichtbehinderte Studenten zusammen in der kleinen Straße unweit des Duisdorfer Bahnhofs. "Sie sind gerade dabei, sich von zu Hause zu lösen. Das gilt für alle fünf", sagt Baumann.

Wie es wohl in allen WGs üblich ist, sind alle per du. Jakob studiert Sport, Viola Internationale Zusammenarbeit. Die beiden sind über eine Stellenausschreibung an ihre Bude gekommen. Für sie ist es ein neues Erfahrungsfeld, sich mit Menschen auseinanderzusetzen, die ein Handicap haben.

Zunächst einmal zahlen Jakob und Viola keine Miete, doch dafür haben sie auch Verpflichtungen. Sie begleiten Ina, Dorothea und Stephan etwa beim Einkauf, üben mit ihnen das Zugfahren, bringen ihnen die Verkehrsregeln bei und helfen beim Putzen.

Donnerstags hat Autist Stephan sein Kochtraining. "Ich koche schon ganz gerne mit Tüten", sagt er. Wobei es aber besser schmecke, frische Zutaten zu verwenden. "Ich esse alles", sagt er. Wenn die Zeit mal fehlt, wärmt er sich selbst etwas auf.

Im Vordergrund steht immer, dass die Behinderten ein weitgehend selbstbestimmtes Leben führen können. Dabei müssen sie nicht rund um die Uhr betreut werden. "Man kann die drei nachts auch alleine lassen", sagt Baumann. "Morgens sollte aber möglichst ein Ansprechpartner da sein."

Die 20-jährige Ina fährt selbst zu ihrem Berufspraktikum in eine Seniorenheimküche in Bonn-Castell. Die vier Jahre ältere Dorothea arbeitet in einer Werkstatt in Hersel und ist für das Verpacken von Schokolade zuständig. Stephan ist beim Bundesinstitut für Arzneimittel im Botendienst. Ihm gefällt die WG, "die Leute sind sehr nett". Ina entgegnet prompt: "Stephan ist auch nett."

Der interessiert sich für das Züchten kleiner Urzeitkrebse und exotische Tiere wie den Axolotl, einen mexikanischer Schwanzlurch. Er träumt davon, einmal ein Terrarium mit Insekten zu haben. Das Haus am Lilienweg hat zwei Etagen und ein ausgebautes Dachgeschoss.

"Jeder bewohnt ein eigenes Zimmer oder Appartment. Bad, Küche, Gemeinschaftsraum, Wintergarten und Garten werden gemeinschaftlich genutzt", sagt Martina Scherer, die pädagogische Leiterin. "Es gibt genügend Raum, den persönlichen Interessen nachzugehen, und natürlich für die eigene Alltags- und Lebensgestaltung. Regeln, Absprachen und Kompromisse werden unter den Mitbewohnern besprochen."

Die "mlg Wohnen" hat ihren Sitz An der Rheindorfer Burg und ist ein Dienst für Ambulant Betreutes Wohnen für Behinderte. Sie ist eine hundertprozentige Tochter des Vereins Haus am Müllestumpe Doro geht bei "Mensch ärgere Dich nicht" gerade in Führung, und Ina macht das, was sie eigentlich nicht soll: sich ärgern.

Ihr 19-jähriger Bruder Ingo tröstet sie und geht einfühlsam auf seine große Schwester ein. Die Eltern der beiden werden wohl bald nach Berlin ziehen, Ingo und Ina bleiben in Bonn. "Ich habe hier drei Freunde", sagt die 20-Jährige. Die kennt sie von der Schule. Doro gibt derweil zu: "Zu Hause ist es besser bei Mama." Nach dem Brettspiel zieht sie sich zurück auf ihre Zimmer.

Thomas Baumann sagt, dass es noch nicht so viele Kontakte zu den Nachbarn gebe. Sie seien aber freundlich und interessiert. Durch ihren integrativen Charakter sei die neue Wohngemeinschaft "ein tolles, schönes und spannendes Projekt".

Ausbau des Projekts

Das Wohnprojekt am Duisdorfer Lilienweg soll nicht das einzige seiner Art bleiben. So sucht "mlg Wohnen" weitere Häuser, damit Behinderte und Nichtbehinderte zusammen wohnen können. Entsprechend werden auch Bewohner gesucht. Mehr dazu gibt es auf www.leben-gestalten.net oder bei Martina Scherer unter 0228/96 77 90 98.

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