Bach in Lengsdorf Entsetzen bei Anwohnern und Landwirten in Lengsdorf

Lengsdorf · Vor dem Start der Renaturierung des Lengsdorfer Baches ließ die Stadt die komplette Vegetation abholzen. Anwohner und Landwirt fühlen sich überrumpelt, denn das sei so nicht vorgesehen gewesen.

Beschlossene Sache ist die Renaturierung des Lengsdorfer Baches schon seit fast 15 Jahren. Aber jetzt, da die Arbeiten beginnen, läuft das nicht ohne Querelen ab. Um eine naturnahe Gestaltung am Bach zu bekommen, wurde nämlich zuerst die alte Natur entfernt. Und dabei hat die von der Stadt beauftragte Firma ganze Arbeit geleistet und fast alle Bäume und Büsche am Bach mit einem schweren Vollernter niedergelegt. Nur vier Weiden blieben stehen.

Landwirt Stefan Hünten, der sein Feld gleich am Bach hat, ist verärgert. „Hier wurde kurz vor dem Stichtag am 1. März wirklich alles abgesäbelt und Kahlschlag betrieben“, sagt er und berichtet von einem Gutachten, wonach eigentlich von 99 untersuchten Bäumen 84 erhalten bleiben sollten. Jetzt aber seien Flora und Fauna für zwei bis drei Jahrzehnte zerstört. Auch hat die Stadt seiner Ansicht nach nicht mit offenen Karten gespielt. In einer Pressemitteilung, die auch der GA veröffentlichte, hieß es Anfang Februar, es würden 15 bis 20 Bäume vorab gefällt. Aus der Ausschreibung im vorigen Jahr, die dem GA vorliegt, geht jedoch hervor, dass 66 Bäume von der Firma entfernt werden sollen.

Die Stadt ist sich keiner Schuld bewusst. Der Angebotspreis bemesse sich nicht nach der Zahl der Bäume, sondern nach Zahl der Schnitte und wie oft die Säge angesetzt werden müsse, so das Presseamt. Außerdem hätten viele der Bäume mehrere Stämme gehabt, außerdem sei alles unter einem Meter Umfang nicht als Baum zu bewerten. Allerdings räumt das Tiefbauamt ein, eine zur Erhaltung vorgesehene Esche sei bedauerlicherweise gefällt worden.

Anwohner äußern Unmut

Enttäuscht von der Stadt ist auch Anwohner Fritz Rost, der bis vor einem Jahr noch im Vorstand der Bachfreunde Lengsdorf saß. „Da ist viel Natur kaputt gemacht worden“, findet er und hält der Stadt vor, sie habe entgegen der Absprachen seinen Verein nicht gleich eingebunden und den Beginn der Arbeiten nicht mitgeteilt. Rost, der früher selbst als Landschaftsgartenmeister bei der Stadt arbeitete und daher vom Fach ist, glaubt: „Man hätte mindestens zehn Bäume stehen lassen können, die vor Gesundheit strotzten.“

Dass die Stadt nach einer Beschwerde dann doch noch dem Verein am 13. Februar in einer Vorstandssitzung die Renaturierung präsentierte, hilft dem 82-Jährigen persönlich auch nicht. „Es wurde mitgeteilt, dass es rechts des Bachs keine Eingriffe in die Privatgärten gebe. Trotzdem ist bei mir ein 90 Zentimeter hoher Gingkobaum gefällt worden.“ Rosts Fazit: „Auf die Natur ist keine Rücksicht genommen worden, man ist den einfachsten Weg gegangen.“ Außerdem sei nicht mitgeteilt worden, dass auch sämtliches Strauchwerk entfernt würde.

Die Stadt verweist darauf, dass die schweren Vollernter-Maschinen zur Rodung besonders geeignet sind, weil sie schonend vorgehen – für den Boden nahe des Gewässers. Landwirt Hünten bezweifelt insgesamt übrigens auch den Effekt der Maßnahme: Langfristig werde der Retentionsraum bei Hochwasser durch die neue Gestaltung des Baches nur minimal vergrößert. Und weil es in dieser isolierten Lage keinen Biotopverbund zum Kreuzberg gebe, sei der ökologische Wert der Maßnahme gering. 30 Jahre lang habe die Stadt versucht, sein Grundstück zu kaufen und sogar mehrmals mit Enteignung gedroht. Unter diesem Druck unterschrieb er 2018 einen Gestattungsvertrag, welcher der Stadt den Bachzugang ermöglicht.

Einer der Vertragspunkte war übrigens, vor Baubeginn eine gemeinsame Begehung mit Fotoprotokoll durchzuführen und den Beginn der Arbeiten mindestens einen Monat vorher schriftlich anzuzeigen. „Beides ist nicht passiert“, so Hünten. „Insofern bin ich enttäuscht, dass man sich auf die Aussagen nicht verlassen kann.“

Die Stadt entgegnet, die Fotodokumentation habe es gegeben, jedoch ohne Hüntens Beteiligung. Und die Rodungen seien nur vorbereitende Maßnahmen, die eigentlichen Arbeiten mit Erdbewegungen begännen erst Ende März. Und dann steht da noch ein Vorwurf im Raum: Abgeholzte Bäume und Äste sind auf zwei von Hüntens Landmaschinen abgelegt worden, die er jetzt benötigt. Auch hier wiegelt die Stadt ab und findet, dass die Maschinen doch frei zugänglich sind.

Kontrovers wird die Rodung auch bei den Lengsdorfer Bachfreunden diskutiert, die vor 15 Jahren die Wiederaufnahme der Renaturierungspläne erst in Gang setzten. Vereinsmitglied Matthias Schindler sieht nach den Erklärungen der Stadt im Vorstand die Notwendigkeit des Radikalschnitts ein. „Das sieht für Außenstehende massiv aus, aber man muss das im Zusammenhang mit der Gesamtplanung sehen“, sagt der studierte Agrarwissenschaftler. Mittelfristig sei von einem Gewinn für die Natur auszugehen.

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