Verein Adelante Bonner Verein hilft traumatisierten Menschen

Duisdorf · Der Verein Adelante ist eine Anlaufstelle für Menschen mit traumatischen Erfahrungen. Geholfen wird ohne lange Wartezeiten oder Anmeldung.

 Mit weiteren Adelante-Kollegen beraten auch Silke Paeplow (von links), Coreina Wild, Georg Merker und Gisela Mengelberg.

Mit weiteren Adelante-Kollegen beraten auch Silke Paeplow (von links), Coreina Wild, Georg Merker und Gisela Mengelberg.

Foto: Stefan Hermes

Die Räume im Dachgeschoss der Rochusstraße 110 sind hell und freundlich. Sie strahlen in ihrer Schlichtheit Zuversicht aus. Dort gibt es nichts, an dem der Blick haften bliebe. Seit sechs Jahren stehen die Räume allen Menschen offen, die Rat suchen. Sie werden dort zu festen Zeiten jemanden von dem Adelante-Verein antreffen, der Menschen mit traumatischen Erfahrungen helfen kann. Der Verein hat sich „Adelante“ (spanisch für „vorwärts“) genannt, weil er davon überzeugt ist, dass es immer einen Weg nach vorne, einen ersten Schritt aus dem Leid gibt.

Die Erfahrung der für Adelante ehrenamtlich tätigen Therapeuten, Sozialarbeiter, Pädagogen oder Psychiater ist, dass an jedem Punkt, an dem sich ein Mensch befindet, Veränderungen zu einem freudvollen Leben möglich sind. Auch wenn das nicht immer ohne Anstrengung geht. „Der Bedarf ist da“, sagte Gisela Mengelberg, die Vorsitzende des Vereins. Obwohl es einen deutlichen Zuwachs an Beratungszahlen gebe, so ihr Vorstandskollege Georg Merker, „finden für das große Einzugsgebiet von Bonn und Umgebung erstaunlich wenige Menschen den Weg zu uns.“ In 2018 waren es rund 70 Betroffene, die das Beratungsangebot des Vereins in Anspruch genommen haben. Es sei auch ein großer Schritt für die Menschen mit traumatischen Erfahrungen, sich einer fremden Beratungssituation gegenüber zu öffnen, so Merker.

Der leitende Psychiater einer Fachklinik in Meckenheim betont, dass es bereits 2010, bei der Gründung des Vereins ein Anliegen gewesen sei, ein möglichst niederschwelliges Angebot zu etablieren, was nicht wie eine ambulante Psychotherapie mit langen Wartezeiten oder einer verzögernden Therapeutensuche verbunden ist. „Bei uns können die Menschen zu festen Zeiten klingeln und eine Beratung bekommen“, so Merker. Nur – so wird es im Gespräch mit den Fachleuten deutlich – ist es nicht immer einfach, die Betroffenen zu erreichen, um ihnen die Hilfsangebote zukommen zu lassen. Traumatherapeutin Coreina Wild erklärt, „Schweigegebote und Vertuschung sind im Missbrauchsfall die zentralen Hinderungsgründe für Betroffene, sich an uns zu wenden.“ Ganze Familiensysteme oder auch Institutionen seien darauf ausgerichtet, Missbrauch zu vertuschen. Von daher sei die Hürde für Menschen mit traumatischen Erfahrungen so hoch, in Beratungen zu gehen.

„Der Leidensdruck muss schon sehr hoch sein, dass sich ein Mensch zu uns aufmacht“, so Wild. Es sei beides da, ergänzt Mengelberg aus ihrer Erfahrung als Lehrerin an einem Gymnasium: „Durch die Missbrauchsfälle in den Kirchen wird einerseits viel mehr darüber geredet, andererseits wird dadurch in den Familien auch viel mehr geschwiegen.“ Die Jugendlichen, die auf unterschiedliche Weise krank oder suizidal würden, stünden dazwischen. Es brauchte noch viel mehr Beratungsstellen. Und es brauchte Fortbildungen für Menschen, die beruflich mit Jugendlichen zusammenkommen. Es sei erschreckend, so Mengelberg, wie viele Jugendliche mit Traumata leben müssten. Nicht nur Gewalt oder Missbrauch in der Familie, sondern auch die zunehmende Zurschaustellung von Nacktbildern im Internet, sei es durch Pädophile auf einschlägigen Webseiten oder auch in sozialen Netzwerken, führe zu ernsthaften psychischen Belastungen der auf diese Weise mehrfach Entblößten.

Das Thema ‚Missbrauch‘ sei weitaus größer, als es trotz zunehmender Öffentlichkeit angenommen werde, ist die Sozialpädagogin Silke Paeplow überzeugt. Selbst in Einrichtungen der Jugendhilfe gebe es noch ein großes Informationsdefizit zum Thema Missbrauch. „Das Ausmaß und die Tiefe von Missbrauch zu begreifen, wird noch einige Zeit brauchen“, so Coreina Wild. „Für die, die zu uns kommen, ist es schon eine große Erleichterung, dass ihnen hier niemand ihre Wahrnehmung abspricht“, ergänzt Paeplow. Oft wissen Betroffene nur, „eigentlich müsste ich total glücklich sein, aber ich fühle mich total bekloppt und weiß nicht, was mit mir los ist.“ Bei Adelante werden Betroffene auf jemanden treffen, der nicht glaubt, dass man „bekloppt“ sei, sondern dass dieses Gefühl Konsequenzen aus dem bisherigen Leben sind. Schon dieses Verständnis kann ein Anfang sein und vieles verändern.

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