Prostitution in Bonn Druck auf dem Straßenstrich

BONN · Wenn man nachts über die Immenburgstraße fährt, stehen sie bei Temperaturen um den Gefrierpunkt auf dem Bürgersteig. Frauen mit roten Lippen, kurzen Röcken und neonfarbenen Absätzen.

 Der Straßenstrich: Prostituierte bieten ihren Körper an der Immenburgstraße an. Der Großteil kommt aus Osteuropa.

Der Straßenstrich: Prostituierte bieten ihren Körper an der Immenburgstraße an. Der Großteil kommt aus Osteuropa.

Foto: Nicolas Ottersbach

Ivana, Nastasa und Marija müssen ihren Körper für Geld verkaufen. Lange waren Prostituierte in Bonn ungeschützt. Auf dem alten Strich an der Gerhardt-Domagk-Straße prostituierten sich Frauen am Tag, auf Parkplätzen, völlig unkontrolliert - und waren den Freiern ausgeliefert. Studentinnen wurden angemacht, Anwohner beschwerten sich. Das sollte sich ändern.

2011 verlegte die Stadt Bonn den Strich in die Immenburgstraße und baute Verrichtungsboxen aus Holz: sechs Autoboxen und eine für Fußgänger, in denen die Freier mit den Frauen verkehren können. In allen Boxen gibt es einen Alarmknopf. Der Wachmann, der jede Nacht auf dem Gelände ist, soll die Arbeit für die Frauen sicherer machen.

Eine Garantie gibt es nicht. Vor wenigen Wochen wurde eine 28-jährige Prostituierte in einer Verrichtungsbox attackiert. Ein Freier sprühte ihr Reizgas ins Gesicht. Er nahm ihre Handtasche, warf die Frau aus dem Auto und fuhr davon. Als der alarmierte Wachmann kam, war der Täter verschwunden. Die Prostituierte musste ins Krankenhaus.

Sind die Verrichtungsboxen wirklich sicher? Günther Dick, Leiter des Bonner Ordnungsamtes, ist davon überzeugt. "Solche Fälle sind selten", sagt er. "Die Frauen, die in den Boxen arbeiten, sind viel geschützter als früher."

Um 20.15 Uhr öffnet der Wachmann das Verrichtungsgelände. Bis 6 Uhr früh verkaufen rund 20 Frauen jede Nacht ihren Körper. Eine von ihnen ist Rumena. Seit sechs Jahren schafft sie in Bonn an. Ihr schwarzes, drahtiges Haar umrahmt ihr blasses Gesicht, in das sich erste Falten ziehen. Ihr Alter will sie nicht verraten. Ihr Deutsch ist gebrochen. Rumena kommt aus Bulgarien. "Die Boxen sind sicher, ja", sagt sie.

Das Ordnungsamt überprüfe das Gelände, der Wachdienst sei immer an Ort und Stelle. "Ich wurde noch nie von einem Freier angegriffen." Andere Prostituierte an der Straße bestätigen das. Als die Sprache auf den Überfall auf die 28-Jährige kommt, schütteln die Frauen aber ahnungslos mit dem Kopf.

Auch nach Angaben der Polizei Bonn gebe es kaum Gewalt auf dem Straßenstrich. "Anzeigen gegen Freier sind selten", sagt eine Polizeisprecherin auf GA-Anfrage. Wenn überhaupt, gebe es Rangeleien zwischen den Prostituierten auf dem 400 Meter langen Strich.

Christa Skomorowsky, Sozialarbeiterin der Aids-Initiative Bonn, bestätigt das. Seit mehr als 20 Jahren arbeitet sie mit Prostituierten zusammen. Die Konkurrenz zwischen ihnen sei größer. "Der neue Strich ist viel kürzer als der alte", bemängelt sie. Die Frauen müssten ständig ihren Platz verteidigen. Wo man sich früher geholfen habe, herrsche heute ein größerer Konkurrenzkampf. Und: "Viele Frauen werden von ihren Zuhältern unter Druck gesetzt."

Dass Prostituierte auf der Immenburgstraße unter Zwang arbeiten, weiß auch Lena Teschlade, Sozialarbeiterin von Solwodi. Die Organisation setzt sich für Opfer von Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung ein und kam im Juni 2014 nach Bonn. "Frauen werden unter falschen Versprechungen nach Deutschland gebracht", weiß Teschlade. Einmal im Jahr ziehe die Organisation Bilanz. Die Zahl, wie viele Menschen 2014 in Bonn um Hilfe gebeten haben, liege aber noch nicht vor. "Die Dunkelziffer ist in jedem Fall höher", so Teschlade.

Die Sozialarbeiterinnen sind mit Mitarbeitern des Gesundheitsamtes zweimal die Woche an der Immenburgstraße. Im "Sozialcontainer" können sich Prostituierte aufwärmen, Kaffee trinken - und reden. Wenn die Sozialarbeiterinnen um Mitternacht gehen, wird der Container geschlossen. "Wenn es regnet oder schneit, stehen wir hier ohne Dach und werden nass", sagt Rumena. "Im Winter ist das furchtbar."

Längere Öffnungszeiten der Sozialdienste und ein Dach über dem Strich hält Günther Dick nicht für nötig. "Ein Dach ist aus ordnungsrechtlicher Sicht ein Luxusproblem." Außerdem sei die Stadt nicht in der Lage, "mit Geld um sich zu werfen". Das primäre Ziel - mehr Sicherheit für die Frauen und weniger Beschwerden durch die Anwohner - sei erreicht worden.

Von dem Freier, der die Prostituierte in seinem Wagen angegriffen hatte, fehlt bislang jede Spur. Die 28-Jährige konnte das Krankenhaus nach einem Tag verlassen - und steht wohl wieder auf dem Strich.

Sexsteuer

Seit 2011 müssen die Prostituierten des Straßenstrichs pro Nacht eine Sexsteuer bezahlen. Das sechs Euro teure Ticket (Foto) wird aus einem umfunktionierten Parkscheinautomaten gezogen. Die Stadt nimmt damit rund 45.000 Euro im Jahr ein. Täglich werden die Prostituierten von Mitarbeitern des Ordnungsamts kontrolliert.

Um das Verrichtungsgelände zu nutzen, muss die Stadt eine Pacht an die Stadtwerke Bonn entrichten. Zusammen mit dem Wachdienst kostet das rund 100.000 Euro im Jahr. Insgesamt hat die Stadt nach eigenen Angaben im vergangenen Jahr über die Sexsteuer 308.743 Euro eingenommen.

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