Antonia Rados in Bonn Lesung aus dem kürzlich erschienenen Buch der Journalistin

TANNENBUCH · Die RTL-Chefreporterin Antonia Rados schreibt über zwei Schwestern, die in der gleichen Zeit, in derselben Stadt, doch in unterschiedlichen Welten leben: Bauchtänzerin Dina und Rita, die zur Salafistin wird.

Zu einer Lesung aus diesem ihrem letzten Werk hatte die Buchhandlung am Paulusplatz Rados ins Familienzentrum eingeladen. Dina, die Jüngere der beiden Frauen, ist Ägyptens bekannteste Bauchtänzerin. Ein "Luxusgeschöpf", ein "Hochglanz-Werbeplakat auf zwei Beinen".

Sie lebt in der Kairoer Welt der Schönen und Reichen und ist bezahlter und gefeierter Gast von Hochzeiten und Festivitäten. Rita, 48 und damit zwei Jahre älter, beendete 2001 ihre Karriere als Nachtclubsängerin und verschwor sich dem Salafismus. Heute heißt sie Rokkaya, nach der Tochter des Propheten.

Sie ist verschlossen, argwöhnisch und hat sich in einen "schwarzen, unnahbaren Schatten" verwandelt. Sie lebt in einem von Verkehrschaos, Abgasen und Hektik geprägten Viertel der unteren Mittelklasse. Doch außer zum Einkaufen verlässt sie kaum ihr Haus. Sie verbringt ihre Tage betenderweise. Radio und Fernseher bringen ihr die Religion ins Haus.

Geplant war laut Rados zu Beginn lediglich die Reportage über eine Bauchtänzerin im heutigen Ägypten, laut Rados das "frommste Land der arabischen Welt". Doch dann erfuhr sie von der Existenz der strenggläubigen Schwester. Diese Gegensätzlichkeit in einer Familie, die sich übrigens in zahlreichen Familien Ägyptens wiederfindet, faszinierte sie. Ebenso die so unterschiedlichen Wege dieser Schwestern. Es folgte ein Jahr, in dem sie diese Frauen begleitete.

Die Begegnungen mit Rita gestalten sich auf Grund des Misstrauens der Salafistin als besonders schwierig. Rados wurde in Klagenfurt geboren, studierte in Salzburg, Paris und Bologna und wohnt heute in Paris. Sie blickt auf dreißig Jahre Arbeit als Fernsehjournalistin zurück.

In den letzten zwanzig Jahren berichtete sie für RTL aus den verschiedensten Krisenregionen und und Kriegsschauplätzen. Ihr Interesse für Frauenschicksale in der islamischen Welt wurde schon durch die bewegende Reportage über eine junge Iranerin, die sich durch Selbstverbrennung einer Zwangsehe entzog, erkennbar. Ihre Fernsehdokumentationen wurden vielfach ausgezeichnet - ihre Bücher sind Bestseller.

Zuerst las Rados in Tannenbusch über eine Hochzeit, zur der sie Dina, die Bauchtänzerin. begleitet. Die Zerrissenheit dieser Hochzeitgesellschaft ist ein Spiegelbild des Spannungsfeldes der ägyptischen Gesellschaft. Die Seite der Braut ist strenggläubig - die des Bräutigams ist nicht religiös. Dina, als Höhepunkt des Programms von der Familie des Ehemanns verpflichtet, ist plötzlich so unwillkommen wie Alkohol in jeder Form. Sie wird kurzerhand "rausgeschmissen".

Im Kapitel, welches Rados im Anschluss las, wird ihr nach Schwierigkeiten, Verzögerung und mit viel Unbehagen gestattet, bei einer Koranstunde von Rita, der salafistischen Schwester, und deren Freundinnen präsent zu sein. Nach dieser Koranstunde kommt es zu einem bewegenden Moment zwischen Rados, der Autorin, und Rita, der Salafistin. Ganz spontan, kurzentschlossen und schnell hebt Letztere ihren Gesichtsschleier. Ebenso unvermittelt fragt sie: "Wie sehe ich aus?"

Das Studium des Korans ist für die Salafisten von so großer Bedeutung wie für keine andere muslimische Religionsgruppe. "Salaf", so erläutert Rados, bedeutet Vorfahr, und da die Salafisten der Überzeugung sind, dass die Muslime zu Zeiten ihrer Vorfahren, also zu Zeiten des Propheten, so vollkommen gelebt haben wie nachher nie wieder, ist es das Bestreben ihrer Anhänger, jenen Lebensstil bis in die kleinsten Einzelheiten nachzuahmen, sogar bis auf die vorgeschriebenen 20 Zentimeter Länge des männlichen Bartes.

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