Neu-Tannenbuscher schildern Staatssekretär Kelber Probleme in ihrem Viertel Die Ghettoisierung schreitet voran

NEU-TANNENBUSCH · Hohe Arbeitslosigkeit, miserable Wohnbedingungen, viele Jugendliche ohne Perspektive - trotz des Städtebauprogramms Soziale Stadt sehen viele Neu-Tannenbuscher nicht den gewünschten Fortschritt in ihrem Viertel.

Immer mal wieder sucht der "Arbeitskreis Vielfalt" - ein Zusammenschluss engagierter Bürger - das Gespräch mit der Politik; jetzt hatte er den Bundestagsabgeordneten und Parlamentarischen Staatssekretär Ulrich Kelber (SPD) zum Gespräch eingeladen.

Die Kernprobleme des Stadtteils sind hinlänglich bekannt, die Mittel, sie zu bekämpfen, teils wirkungslos oder greifen nur allmählich, wie sich bei dem Gespräch herausstellte. Eine der brennendsten Fragen des Viertels benannte Martin Finke, Leiter der Freiherr-vom-Stein-Schule, einer Realschule: Wie bekommt man die Jugendlichen in Arbeit? "Viele unserer Schüler starten nach der 10. Klasse nicht ins Berufsleben, sondern gehen weiter zur Schule", gab Finke zu bedenken.

Er wünscht sich mehr Unterstützung von Bonner Betrieben und mehr Arbeitsgelegenheiten für Jugendliche in dem Viertel. Erschwerend hinzu komme, dass die arbeitenden Vorbilder oft fehlten; kein Wunder, seien doch "zwei Drittel der Eltern unserer Schüler Sozialleistungsempfänger". Ein Teufelskreis, aus dem auch die Jugendlichen kaum auszubrechen wissen. Allein der arabische Name und die Adresse seien bei der Bewerbung K.O.-Kriterien, wie eine Sozialberaterin Kelber berichtete.

"Wenn ich als Jugendlicher hundert Absagen bekomme, muss ich verdammt stark sein", pflichtete ihr der Politiker bei. "Ich bin deshalb für anonymisierte Bewerbungen" - damit diese Jugendlichen wenigstens die Chance hätten, zum Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden.

Dringend notwendig sei auch eine staatliche Berufseinstiegshilfe, so Kelber. Seine Fraktion plane deshalb, aus der Arbeitslosen- eine Arbeitsversicherung zu machen. Schon in der achten oder neunten Klasse bräuchten Schüler Hilfe, erste Kontakte zu Unternehmen zu knüpfen. Oder auch Unterstützung, wenn sie beispielsweise eine Fünf in Mathe hätten.

"Dann benötigt der Schüler gezielt Nachhilfeunterricht am Nachmittag, damit ihm diese Note nicht zum Verhängnis wird", nannte Kelber eines von vielen Beispielen, wie der Staat nach seinen Vorstellungen Jugendlichen helfen kann. Denn einig war man sich in der Runde, dass perspektivlose Jugendliche Gefahr laufen, von religiösen Extremisten aufgefangen zu werden. Wie der GA berichtete, ist Neu-Tannenbusch ein Hotspot radikaler Islamisten.

Heftige Kritik gab es bei dem Gespräch auch an den zum Teil unhaltbaren Zuständen in den Hochhaussiedlungen. Kelber selbst erzählte von einem Beispiel, wo der Aufzug monatelang nicht funktionierte und allein die Drohung, die Medien einzuschalten, schnelle Abhilfe verschaffte.

Roman Rudnick, der einst die Initiative Tannenbusch ins Leben gerufen hatte, zeigte sich fassungslos darüber, "dass die Stadt rund 80 Millionen Euro an Transferleistungen zum Teil für regelrechte Schrottwohnungen von Wohnungsgesellschaften ausgibt". Auch in dem Punkt konnte Kelber den Ärger nachvollziehen: "Nebenkostenabrechnungen und der Zustand der Wohnungen, für die die Stadt Sozialleistungen zahlt, müssen von der Stadt kontrolliert werden." Er und sein Genosse Bernhard von Grünberg hätten die Stadt darauf angesprochen, "weil ich glaube, dass man so viel Geld sparen kann".

Ohnehin wolle die SPD im Bund das Wohnungsaufsichtsgesetz so verschärfen, dass Kommunen ohne großes juristisches Risiko Vermieter zwingen können, bei vernachlässigten Wohnungen im Sinne des Mieters zu handeln. Bei Sozialwohnungen sollen die Kommunen nach Vorstellung Kelbers die Möglichkeit haben, die Kosten für die Unterkunft zurückzuverlangen, "wenn Standards unterschritten werden".

Besorgt zeigte sich Rudnick auch, dass Neu-Tannenbusch immer mehr in soziale Schieflage gerate: "Die Zahl der Sozialleistungsempfänger wächst stetig." Kelber glaubt, dass die Ghettoisierung sich gar noch verstärke. Zwar habe man mit der Mietpreisbremse ein weiteres Instrument geschaffen, doch das reiche noch nicht aus: "Wir brauchen das “Hamburger Modell„, wonach Investoren nur dann bauen dürfen, wenn sie mindestens 30 Prozent für Sozialwohnungen reservieren. Es kann nicht sein, dass in Bonn sozialer Wohnungsbau verhindert wird mit dem Argument “Dieses Gesocks passt nicht in unser Viertel„."

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